Respekt, weil selbst gemacht

Die Kern-IT auf Vordermann zu bringen ist neben neuen Produkten und Services ein wesentlicher Erfolgsfaktor für eine erfolgreiche Digitalisierung. Dafür müssen sich Technologien, aber auch Organisationen und deren Abläufe ändern. Bei der toom Baumarkt GmbH in Köln entschied man sich 2020 deshalb für eine agile Ablauf­organisation und den Einsatz von DevOps im SAP-Umfeld – wohlwissend, dass Sprints bei Prozessen und Tools oft funktionieren, Menschen und Kultur aber mehr Zeit brauchen. Wie die Arbeit von einer klassischen Projekt­organisation zu einer agilen vonstattenging, erzählt Stefan Nogly, Abteilungsleiter DevOps bei toom Baumarkt.

Stefan Nogly, Abteilungsleiter DevOps und zuständig für Entwicklung und Betreuung von SAP-Systemen bei toom Baumarkt GmbH
Stefan Nogly, Abteilungsleiter DevOps und zuständig für Entwicklung und Betreuung von SAP-Systemen bei toom

Die Transformationswelle rollt über alle Unternehmen hinweg und wer nicht untergehen will, surft am besten vorne auf dem Wellenkamm mit: Diesen Ansatz verfolgt jedenfalls die toom Baumarkt GmbH. Wie agil und flexibel das Geschäft und auch die IT-Infrastruktur dahinter sein müssen, hat die Zeit während der beiden Corona-Lockdowns im Frühjahr sowie im Herbst 2020 gezeigt, als die Kunden zuerst die Baumärkte vor Ort und dann deren Online-Shops im Internet stürmten.

toom Baumarkt GmbH

Mit mehr als 300 Märkten im Portfolio (toom Baumarkt, B1 Discount Baumarkt und Klee Gartenfachmarkt), rund 18.000 Beschäftigten und einem Bruttoumsatz von 3,2 Mrd. Euro (2020) zählt toom zu den führenden Anbietern der deutschen Baumarktbranche und gehört zur REWE Group, einem der führenden Handels- und Touristikkonzerne in Deutschland und Europa.

Umfeld für Technologien und Menschen schaffen

Der Mann für die warenwirtschaftlichen Systeme, die im Hintergrund das Geschäft am Laufen hielten und halten, ist Stefan Nogly, Abteilungsleiter DevOps (s. Glossar) und zuständig für Entwicklung und Betreuung von SAP-Systemen wie unter anderem Retail, Customer Activity Repository (CAR) und Hybris Cloud for Customer (C4C). Seit über zehn Jahren ist er bei toom Baumarkt und sagt, dass neben dem Fokus auf Software und Technologie auch der Mensch im Mittelpunkt stehen muss, „andernfalls misslingt die notwendige digitale Transformation des Unternehmens.“

Seine Beobachtung hat sich mehrfach im Alltag bewiesen, wo er mit seinem Team lange Zeit die klassische Projektorganisation mit ihren typischen Abläufen begleitete: „Release-Zyklen wurden immer länger, der Scope kleiner und Hypercare-Phasen, also die temporäre Intensivbetreuung der Systeme nach Go-Live, intensiver“, erinnert er sich. „Fehler häuften sich, der Aufwand wurde immer mehr, ungeplante Mehrarbeit war keine Seltenheit.“

Neues Mindset gesucht

Ein Zustand, den niemand bei toom mehr hinnehmen wollte, auch im Hinblick auf kommende Herausforderungen wie S/4HANA und ständig steigende Kundenanforderungen: „Die beginnen bei reibungslosem Click&Collect, gehen über individuelle Promotionen und enden bei einem ganz speziellen Holzzuschnitt. Der Druck war groß, und wir konnten unsere Zusagen als IT gegenüber unseren Stakeholdern nicht mehr einhalten“, erklärt Stefan Nogly.

Die Entscheidung, die IT-Transformation mutig anzugehen, fiel dann schnell, als Thomas Schwachenwalde als Bereichsleiter die IT bei toom Baumarkt übernahm. „Thomas formierte eine gemischte Gruppe aus Führungskräften, Mitarbeitern sowie internen und externen Organisationsentwicklern. Alle mit dem Willen zur Veränderung. Positiv kam hinzu, dass sowohl die Fachbereiche als auch die Geschäftsführung hinter uns standen“, erzählt der Dev­Ops-Abteilungsleiter. Ein entscheidender Faktor, denn klar war: Die Transformation wird auch mal schmerzen, wenn ein Schritt zurück gegangen werden muss. „Uns allen war aber auch bewusst, dass wir im Anschluss wieder zwei Schritte nach vorne machen können.“

Glossar: DevOps

DevOps ist eine Denkweise, eine Kultur und eine Reihe von technischen Praktiken. Es bietet die notwendige Kommunikation, Integration, Automatisierung und enge Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Personen, um ein Produkt zu planen, zu entwickeln, zu testen, zu implementieren, freizugeben und zu pflegen. Das Entwicklungs-Team fokussiert sich auf die effektive Entwicklung von Mehrwert, während das Service-Team auf die Stabilität der Produktionsumgebung achtet.

Arbeitsgruppe DevOps

Prüft und adaptiert ggf. Vorgehensweisen und Leitlinien aus dem Themenkomplex DevOps hinsichtlich Anwendbarkeit für ABAP, Business Technology Platform (BTP) und hybride Landschaften (OnPremise vs. Cloud, ABAP vs. Non-ABAP): offen für alle DSAG-Mitglieder.

Intrinsischer Ansatz gewinnt

Bereits 2019 begann die toom-IT-Transformationsreise – jedenfalls in den Köpfen und auf dem Papier. „Wir entschieden uns für einen intrinsischen Ansatz, es war unsere Transformation, und das wollten wir auch spüren“, erklärt Stefan Nogly und sagt, dass nur wenige Externe dazu geholt wurden. „Wer eine Transformation verantwortet, der darf sie nicht beauftragen, sondern muss selbst Teil dieser Veränderung sein. Vertrauen kann nur entstehen, wenn jeder Teil der Transformation ist.“ Mitarbeiter wurden eingebunden, im Pilot-Team viele Erfahrungen gemacht.

„Parallel haben wir eine agile Ablauforganisation basierend auf Sprints und Programminkrementen erarbeitet. Auch Rollenbeschreibungen wurden geändert, denn die Zukunft war ja anders geplant als die Gegenwart. Die Produkt- und Service-Teams wurden von agilen Coaches begleitet. Wir haben Tech-Days mit vielen kleinen Workshops veranstaltet, die die Lust und auch den Spaß an Technologie und agiler Software-Entwicklung wecken sollten“, erzählt der DevOps-Experte. Dafür setzt er gerne auf neue Methodiken wie den Gamification-Ansatz, was in den Teams gut ankommt. „Bei einer Veranstaltung nähern wir uns S/4HANA spielerisch, bei einer anderen stehen dann die Software-Entwicklung und Eigenverantwortung wieder stärker im Fokus, oder wir hören einen Vortrag zum Thema künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen im Handel“, berichtet Stefan Nogly. „Der Mix macht es aus!“

Corona statt Big Bang

Als die Vorbereitungen endlich beendet waren, kam mit dem Big Bang auch Corona und alle Mitarbeitenden gingen ins Home-Office. „Startschuss für die agile Arbeitsweise mit DevOps und Start COVID-19 fielen bei uns zusammen“, erinnert sich der Abteilungsleiter. „Seither arbeiten wir mit MS Teams, sehen uns virtuell. Für agile Rituale oder das persönliche Feedback-Gespräch treffen wir uns gerne, wenn möglich, vor Ort.“

Sprints erlauben neue Denk- und Arbeitsweise

Mittlerweile sind die Teams komplett neu aufgestellt und auch nicht mehr klassisch SAP-orientiert: Es gibt nun dedizierte Product-Owner, die den Kontakt zur Fachabteilung halten. „Als Handelsunternehmen müssen wir nicht nur ständig geschäftsfähig sein, sondern auch schnell auf Kundenbedürfnisse reagieren können“, sagt Stefan Nogly. Und so sorgen heute Service-Teams für Support, Betrieb und Hosting der Infrastruktur, Produkt-Teams für die fachliche Weiterentwicklung ihrer Geschäftsfähigkeit. Die erste große Herausforderung stellte im Juli 2020 dann die Senkung der Mehrwertsteuer dar, die quasi über Nacht in den Warenwirtschaftssystemen eingestellt werden musste. „Getreu unserem Leitgedanken ‚Mut, Tempo, Beweglichkeit‘ stellten wir uns der kurzfristigen Herausforderung. Der kommende Sprint hatte also teamübergreifend nur ein Ziel. So konnten wir die Vorteile agiler Arbeitsweise direkt nutzen und auch unsere Stakeholder in der Praxis überzeugen“, freut sich der DevOps-Experte.

Heute werden Projekte mit unterschiedlich hohen, eindeutigen Prioritäten gewichtet und kommen regelmäßig auf den Prüfstand. Dazu tragen vor allem die vierwöchigen Sprints im zwölfwöchigen Programminkrement bei: Nach einem Monat gibt es immer einen kleinen Going-Live mit einem Review für die Stakeholder, nach dem üblichen Dreimonatszyklus sollte das Ziel dann erreicht sein.

Next Step: S/4HANA

Ein wichtiger Punkt in der Transformation waren und sind nach wie vor auch IT-Architektur und Skalierung, denn künftiges Wachstum wird dazu Antworten verlangen. „Wir machen uns fortlaufend Gedanken, wo wir stehen und wie es morgen aussehen könnte: Wo können wir noch weiter wachsen? Und was braucht es dafür?“, beschreibt Stefan Nogly die strategische Ausrichtung der toom-IT. Nach der agilen Arbeitsweise mit dem Menschen im Fokus ist vor der digitalen Transformation mit S/4HANA. „Wir sind noch mittendrin in der Transformation der IT, es motiviert und macht Spaß, Teil einer großen digitalen Reise zu sein“, sagt er.

Bis 2023 steht die Migration auf S/4HANA an: „Wir und alle anderen Unternehmen brauchen ein relativ wartungsfreies System mit hoher Performance, mit wenig kundenindividuellen Einzellösungen als Erweiterungen.“ Mit SAP als Implementierungspartner erwartet Stefan Nogly zudem einen starken und zuverlässigen Partner, mit dem toom einen Pilotmarkt im MVP-Ansatz (Minimum Viable Product) realisiert. Er und sein Team planen mit S/4HANA als Kernlösung und der Business Technology Platform (BTP) sowie der Google Cloud Platform (GCP) als ergänzende Einzellösungen, um individuelle Anforderungen lösen zu können. „Und natürlich bilden wir unsere Planung hierfür in Sprints ab, um maximal flexibel zu sein“, freut sich Stefan Nogly.

Arbeitskreise und Academy helfen immens

Kolleginnen und Kollegen mit ähnlichen Vorhaben legt er eine Zusammenarbeit mit der DSAG ans Herz: „Nicht nur im Arbeitskreis DevOps hole ich mir seit Jahren immer wieder wertvollen Input, auch die Education- und Weiterbildungsangebote der Academy lohnen sich mehrfach.“ Darüber hinaus ist er seit kurzem als Sprecher in der Fokusgruppe S/4HANA Transform aktiv. Über all den Projekten und Vorhaben schwebt in der toom-IT immer der „Do-it-yourself“-Gedanke – und ähnlich ist die Erwartungshaltung von Stefan Nogly an SAP: „Im Großen und Ganzen sind wir sehr zufrieden, aber wie bei jedem Hausbau kommt man manchmal an seine Grenzen: Betrachtet man SAP wie ein Fertighaus von der Stange, dann sind manche Dinge variabel, und bei anderen stößt man einfach an seine Grenzen.“

Fokusgruppe S/4HANA Transform

Der Fokus der Lern- und Arbeitsplattform liegt auf den Transforma­tionsanforderungen der Phase 1, wo es während des Explore und Realize des Projekt-Teams gilt, die Veränderungen auf technischer, prozessualer und menschenbezogener Ebene zu begleiten.Fokusgruppe S/4HANA Transform

Bildnachweis: Toom Baumarkt GmbH/shutterstock

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Autorin

Autorin: Sarah Meixner
blaupause-Redaktion
blaupause@dsag.de

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