Wenn es um Human-Resources-Software geht, muss oft erst der Betriebsrat ins Boot geholt und überzeugt werden. Welche Fallstricke es dabei gibt und wie die Mitbestimmungsfrage in der Praxis gelöst werden kann, erläutern Alexander Quis, Legal Counsel und Referent des Konzern-/SE-Betriebsratsvorsitzenden der Bilfinger SE, Katrin Sommer, Beraterin für Digitalisierung und Mitbestimmung der DSAG-Arbeitsgruppe SuccessFactors, sowie Andreas Närmann, stellvertretender Sprecher des Arbeitskreises Personalwesen.
Warum ist Cloud-Computing aus Betriebsratssicht ein schwieriges Thema?
Alexander Quis: Cloud-Computing ist relativ neu. Da ist eine gewisse Skepsis verständlich. Unsere Betriebsräte bei Bilfinger waren bei SuccessFactors besorgt, dass die Hoheit über Daten und System und damit auch die Kontrolle abgegeben wird. Außerdem haben wir befürchtet, von einem Anbieter abhängig zu sein, auf den wir keinen Zugriff haben, und von technischen Lösungen, die wir letztlich nur begrenzt beeinflussen können.
Karin Sommer: Hier spielt es eine große Rolle, wo sich die Rechenzentren befinden. Sobald sie außerhalb der Europäischen Union liegen, wird die Diskussion in den meisten Unternehmen heikel. Andreas Närmann: Die Masse an Informationen, die gesichtet, verarbeitet und unter Mitbestimmungsgesichtspunkten bewertet werden muss, nimmt zudem stetig zu.
Wenn der Betriebsrat mit seinem Arbeitgeber über eine Arbeitszeiterfassung verhandelt, kann er die Verhandlungen und die Geschwindigkeit beeinflussen. Auf das Cloud-System eines Drittanbieters wie SAP kann der Konzernbetriebsrat jedoch keinen Einfluss nehmen.
Vor welchen konkreten Herausforderungen stehen die Betriebsparteien beim Thema SuccessFactors?
Quis: Die größte Herausforderung bei der SuccessFactors-Einführung für den Betriebsrat lag bei uns in den Ressourcen. Wir haben eine große Verhandlungsgruppe gegründet mit Kollegen aus allen Bereichen. Es gab viele Termine, bei denen uns das System vorgestellt wurde und bei denen wir über einzelne Prozesse im Detail gesprochen haben. Wir mussten auf Betriebsratsseite erst einmal verstehen, worüber wir da tatsächlich sprechen. Das wäre jedoch bei einer On-Premise-Lösung ganz genauso gewesen.
Sommer: Bei internationalen Konzernen, die über verschiedene Länder aufgestellt sind, gibt es auch immer wieder Interessenskonflikte. Auf der einen Seite will der Konzern die Prozesse standardisieren, um im Reporting zum Schluss nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Auf der anderen Seite legt der Betriebsrat den Fokus auf den eigenen Betrieb und die Prozesse, die vor Ort am besten wären. Besonders schwierig sind Einführungsszenarien bei ausländischen Mutterhäusern, wenn das Projektteam im Ausland sitzt. Hier fehlt oft das Verständnis dafür, was hierzulande im Betriebsverfassungsgesetz tatsächlich an Mitbestimmung gefordert ist.
Wann sollte der Betriebsrat bei SuccessFactors mit ins Boot geholt werden und wie lässt er sich überzeugen?
Quis: Bei Bilfinger wurde der Betriebsrat schon vor der Entscheidung für SuccessFactors eingebunden. Uns hat letztendlich der Gedanke einer Single-Source-of-Truth überzeugt. Das war ein gemeinsames Ziel auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreterseite. Uns wurden alle Schritte transparent gemacht, und wir konnten Fragen stellen. Es entstand nie der Eindruck, dass etwas verkauft werden sollte. Ich glaube, es ist wichtig, das zu vermeiden. Je früher der Betriebsrat ins Boot geholt wird, desto eher greift er mit zum Ruder.
Sommer: Ich beobachte immer wieder zwei Strategien: Bei der einen wird der Betriebsrat früh einbezogen, und der Austausch miteinander ist transparent und kontinuierlich. Bei der anderen wird der Betriebsrat spät eingebunden und vor vollendete Tatsachen gestellt.Bei der zweiten Strategie erlebe ich oft, dass die Sachdiskussion in den Hintergrund tritt, und grundsätzliches Misstrauen entsteht.
Welche Mitbestimmungsrechte hat der Betriebsrat konkret?
Närmann: Nach Paragraf 87 des Betriebsverfassungsgesetzes bestimmt der Betriebsrat eines Unternehmens in allen Angelegenheiten mit, wenn es um technische Einrichtungen geht, die zumindest theoretisch geeignet sind, eine Leistungs- und Verhaltenskontrolle zu schaffen. Das betrifft de facto so gut wie alles.
Quis: Human-Resources-Computersysteme fallen eindeutig darunter. Dadurch, dass das Gesetz so offen formuliert ist, kann der Betriebsrat darauf bestehen, sich jeden Prozess, jeden Schaltkreis und jeden Quellcode anzuschauen. Ob das sachgerecht ist, steht auf einem anderen Blatt. Ohne eine Einigung mit dem Betriebsrat kann ein Arbeitgeber in Deutschland SuccessFactors z. B. nicht einführen.
Sommer: Wenn ich mich in den Modulen Zielvereinbarung, Leistungsbeurteilung oder Compensation bei der Vergütungsplanung befinde und neue leistungsbezogene Entgelte einführen möchte, bedarf es nicht nur hinsichtlich der technischen Umsetzung in SuccessFactors einer Einigung mit dem Betriebsrat. Der ganze HR-Prozess verändert sich, und hier bestimmt der Betriebsrat ebenfalls mit.
Welche Besonderheiten gibt es bei HR-Software aus der Cloud?
Quis: Der Datenschutz ist bei Cloud-Computing ein sensibles Thema. Betriebsräte müssen in der Regel erst ein Gefühl dafür bekommen, welche Daten für wen wie tatsächlich verfügbar sind.
Närmann: Positiv ist, dass ich bei einer Cloud-Lösung wie SuccessFactors von Anfang an ein lauffähiges System habe. So können die Parteien in jeder Iterationsschleife gemeinsam ein Verständnis dafür bekommen, was sich ändert und was die Vorteile der Software sind.
Welche Punkte muss eine Betriebsvereinbarung eines Unternehmens für die Cloud-Lösung SuccessFactors unbedingt enthalten?
Quis: Bei uns war zum einen die Schulung der Mitarbeitenden im Umgang mit dem System ein Thema. Zum anderen wurden Beteiligungs- und Kontrollrechte des Betriebsrats diskutiert – also, wie wird der Betriebsrat weiter berücksichtigt, wie kann er das System überwachen und wie wird er in die Workflows eingebunden, wenn es um Genehmigungspflichtiges wie Einstellungen oder Versetzungen geht?
Sommer: In der Betriebsvereinbarung muss z. B. abgebildet werden, wie mit Release-Verfahren umgegangen wird, welche unterjährigen Veränderungen mitbestimmungsrelevant sind und wie der Prozess für alle Beteiligten gestaltet werden soll. Es ist zu definieren, wer Zugriff im Unternehmen und außerhalb auf die Beschäftigtendaten hat.
Stichwort: Release-Updates. Wie viel Aufwand kommt in der Praxis auf Betriebsrat und Unternehmen zu?
Närmann: Das hängt davon ab, welche Veränderungen anstehen. Systemverbesserungen bedeuten wenig Aufwand für den Betriebsrat, wenn sie keine mitbestimmungspflichtigen Punkte beinhalten.
Quis: Für den Betriebsrat stellt sich die Kapazitätsfrage. Die Updates kommen regelmäßig. Hier einen Prozess zu finden, der effizient ist, ist herausfordernd. Man kann ja auch nicht immer warten, bis sich der Konzernbetriebsrat zusammenfindet. Bei Bilfinger tagen wir drei Mal im Jahr und jedes Mal eine Sondersitzung einzuberufen, wenn ein Release-Update ansteht, ist nicht verhältnismäßig.
Sommer: Wenn die Betriebsparteien bei ein oder zwei Release-Terminen gemeinsam z. B. anhand der Release-Notes oder per Blick ins Preview-System die Veränderungen gesichtet haben, bekommen sie schnell ein Gefühl dafür, welche Art von Veränderungen von Interesse sind. Zudem informiert SAP in den jährlichen Roadmaps über die geplanten Entwicklungsschwerpunkte, anhand derer sich für den MedienBetriebsrat relevante Themen erkennen lassen.
Bei Einstellungen, Versetzungen und arbeitsvertraglichen Änderungen kann es sein, dass der Betriebsrat in den Workflow eingebunden werden muss. Was bedeutet das für die Praxis?
Sommer: Ich stelle in meiner täglichen Arbeit immer wieder fest, dass die Ausgestaltung einer Betriebsratsrolle beziehungsweise die Einbindung des Betriebsrats in Genehmigungsprozesse und der Zugriff auf Reports für Betriebsräte immer wichtiger werden.
Närmann: Die Reportss sollten auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten sein. Das führt aktuell bei den Unternehmen jedoch leider noch zu vielen Individualentwicklungen außerhalb des Standards.
Was kann SAP tun, um die Einführung einfacher zu gestalten?
Quis: Für uns war es schwierig, dass der Implementierungspartner nicht SAP selbst war. Der Informationsfluss war daher recht problematisch. Wir hatten teilweise das Gefühl, dass der Partner auch noch am System lernt. Das hat es erschwert, die Frage nach den technischen Möglichkeiten zu beantworten, um Mitbestimmungsprozesse umzusetzen. Überhaupt mussten wir feststellen, dass die deutsche Mitbestimmung dem System nicht geläufig war. Das hat SAP aber mittlerweile auf dem Schirm und arbeitet daran.
Sommer: Bei einer Betriebsvereinbarung sind es immer die gleichen Anlagen, die im Zuge neuer Releases oder neuer Module aktualisiert werden müssen. Es wäre hilfreich, wenn SAP den Unternehmen hierfür ein Paket von Standardreports in einer betriebsvereinbarungsgerechten Form zur Verfügung stellen würde.
Närmann: Zu jedem Report müssten Datenfeldlisten mitgeliefert werden, die erklären, was dieses Datenfeld beinhaltet, wo es herkommt und welches Format es hat.
Gibt es darüber hinaus noch etwas, das SAP aus Anwender- und Betriebsratssicht bei SuccessFactors verbessern könnte?
Närmann: Best-Practice-Pakete wären wünschenswert. Derzeit bekommt man den Baukasten, aber keine Bauanleitung. Vielleicht ist das die Aufgabe des Implementierungspartners, aber ich muss leider sagen, dass das nicht immer zu einhundert Prozent funktioniert. Zudem gab es lange keine Betriebsratsrolle. Wir mussten Workarounds bauen. Inzwischen gibt es eine Applikation, die von einem Drittanbieter gebaut wird und dann gekauft werden muss. Eigentlich sollte eine Betriebsratsrolle aber im Standard enthalten sein.
Quis: Aus deutscher Sicht kommt man um eine spezielle Betriebsratsrolle nicht herum, und andere Anbieter bieten sie mittlerweile im Standard an. Als wir damals SuccessFactors eingeführt haben, gab es die Betriebsratsrolle soweit ich weiß noch nirgendwo. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass solche Umstände bei einer Entscheidungsfindung in den Unternehmen berücksichtigt würden.
Vielen Dank für das interessante und informative Gespräch!
Bildnachweis: DSAG, iStock
Autorin: Julia Theis
blaupause-Redaktion
blaupause@dsag.de
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