Gut gedacht, (noch) nicht gut gemacht

Immer noch gibt es zu viele Fragezeichen, selbst 18 Monate nach offiziellem Beschluss des Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten. Vor allem die praktische Umsetzung erzeugt große Skepsis, denn immense bürokratische Dokumentationspflichten und unklare Vorgaben (z. B. substantiierte Kenntnis) treffen auf personell gut ausgestattete Großkonzerne, aber auch auf den Mittelstand. Und der hat mit Fachkräftemangel, fragilen Lieferketten und explodierenden Rohstoffpreisen schon genug zu tun. Zum Status quo und reellen Befürchtungen haben sich Karin Gräslund, DSAG-Fachvorständin Finance & Sustainability, und Cornelia Upmeier, Referatsleiterin Corporate Social Responsibility (CSR) beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), ausgetauscht.

Was bedeutet das Lieferkettensorgfalts­pflichtengesetz (LkSG) Stand Juli 2022 für Unternehmen in Deutschland?

Cornelia Upmeier: Die Unsicherheit wächst mit jedem Tag, den wir näher an 2023 und 2024 rücken! Konkrete Handlungsanleitungen seitens des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) sind nach wie vor unzureichend bzw. kommen zu spät. Das führt zu Frustration, und dies völlig unnötig, denn die Ziele des LkSG werden von der großen Mehrheit der Unternehmen geteilt. Andererseits entstehen in der Not aber manchmal auch gute Ideen Dritter. Wir stellen fest, dass einige Unternehmen und insbesondere Start-ups mittlerweile Angebote und Lösungen entwickeln, die sich wirklich sehen lassen können.

Karin Gräslund: Wir erwarten von ERP-Herstellern wie SAP, die vom Top- bis zum Shop-Floor, vom Einkauf bis zur Auslieferung eigentlich schon alles im Haus haben, nach wie vor Lösungen, die die gesetzlichen Anforderungen der Anwenderinnen und Anwender lückenlos abbilden – auch und vor allem für KMU. Und wir sind hier auf einem guten Weg, so viel kann ich aus DSAG-Sicht sagen. Natürlich gilt es, nun auch zu liefern, und wir alle sind gespannt auf baldige Ergebnisse!

Cornelia Upmeier, Referatsleiterin Corporate Social Responsibility (CSR) beim
Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK)

2023 ist nicht mehr weit. Kann der Mittelstand aus Ihrer Sicht die neuen Regelungen überhaupt überblicken, geschweige denn Vorschriften zur Nachhaltigkeitsberichterstattung kosteneffizient umsetzen?

Cornelia Upmeier: Vor allem der Mittelstand hat ganz klare und reelle Bedenken, wie das Gesetz ab 2023 lückenlos umsetzbar sein soll, denn hier können nicht schnell einfach mal zwei Mitarbeitende zur Kontrolle des LkSG und für das Nachhaltigkeits-Reporting abgestellt werden wie in einem Großkonzern. Eine weitere, konkrete Baustelle ist die Ungewissheit, wie das Engagement der kleinen und mittleren Unternehmen von großen abgefragt werden wird – also auf welche Art und Weise und in welchem Format. Und natürlich existiert die Sorge, dass die Großen dadurch den Bürokratieaufwand nach unten durchreichen.

Karin Gräslund: Was wir dringend benötigen, sind Lösungswege in einer Informations-Infrastruktur, die viele unterschiedliche Andockstellen für die Unternehmen bietet – je nach Bedarf und am besten „aus der Steckdose“. Und noch viel wichtiger: Wir müssen ganz stringent den Netzwerkgedanken verfolgen, denn vom LkSG ist fast jeder in Deutschland betroffen. Und wenn das äquivalente EU-Gesetz kommt, sehen wir uns zusätzlich mit weitreichenden Anforderungen auf europäischer Ebene konfrontiert.

Karin Gräslund, DSAG-Fachvorständin Finance & Sustainability

Für wie sinnvoll bzw. realistisch abbildbar und umsetzbar halten Sie das Gesetz?

Cornelia Upmeier: Wir haben jetzt nur noch ein paar Monate, bis das Gesetz in Kraft tritt. Und immer noch schwirren diverse Rechtsauslegungen des Gesetzes herum, sind Begriffe unklar. Dies wird sich aber auch erst im Laufe der Jahre klären.

Karin Gräslund: Keiner von uns möchte, dass „Vater Staat“ alleine das Ruder übernimmt, aber es wäre wichtig, bezüglich IT und Infrastrukturen von dieser Seite Unterstützung zu erhalten. In Berlin arbeiten meinem Kenntnisstand nach bereits drei Ministerien mit Blockchain: Es ist also möglich, Neues wird gewagt und eingesetzt. Von großen Unternehmen erhoffen wir uns Engagement bzw. konkrete Hilfestellung für Dritte, wie z. B. „Fünf Schritte auf dem Weg zu einem Nachhaltigkeitsreporting für Automobilzulieferer“, die anderen zur Verfügung gestellt werden, damit nicht jeder bei null anfangen muss.

Forum Sustainability

Rund 130 Mitgliedspersonen suchen und finden hier Antworten auf Fragen wie: Welche Konsequenzen hat das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) für Unternehmen? Was müssen diese jetzt schon tun, um die ab 2023 geforderten Gesetzesvorgaben nachweislich abbilden zu können? Und wie unterstützt die SAP im Rahmen ihrer Produktlösungen umfänglich die Umsetzung der Forderungen zum LkSG und zur Nachhaltigkeit?

Warum ist das LkSG ein wichtiger Bestandteil in der aktuellen Diskussion um die Nachhaltigkeit in den Unternehmen?

Karin Gräslund: Ohne Nachhaltigkeit geht es nicht mehr. Aber man muss sich ganz ehrlich die Frage stellen: Was können sich KMU an Mehrarbeit für Nachhaltigkeit wirklich leisten? Ich persönlich bin ein großer Fan eines detaillierten Nachhaltigkeits-Reportings, gerne auch bis auf den letzten Punkt exakt gerechnet. Allerdings wird die Gesetzgebung den betroffenen Unternehmen derzeit nicht gerecht. Es fehlt immer noch schlicht und ergreifend an konkreten gesetzlichen Formulierungen und Vorgaben, anhand derer Unternehmen sich orientieren können, um endlich nachhaltiger zu werden und zu bleiben! Was ich mir hier wünschen würde, wäre ein Branchenprimus, der mutig vorangeht und seine Erfahrungen mit der Community teilt, sprich partizipieren lässt an guten Lösungen, die gut funktionieren.

Cornelia Upmeier: Dieses Gesetz ist nur ein erster Baustein, und zwar ein sehr wichtiger. Denn Unternehmen müssen sich über ihre Risiken in den Lieferketten Gedanken machen und diese dokumentieren. Jüngst aber hat man sich auf EU-Ebene auf die Nachhaltigkeitsberichterstattungsrichtlinie geeinigt, die noch viel mehr Berichtspflichten als bisher für die Unternehmen bedeutet. Erste Entwürfe sehen bis zu 500 Seiten vor, die ein Unternehmen lesen müsste, um anschließend über seine Nachhaltigkeit zu berichten. Das kann nicht der Sinn von Nachhaltigkeitsberichterstattung sein, wenn man mehr Zeit für Berichte als für Taten braucht!

Forderungen DSAG an SAP

  • Technische Rahmen­bedingun­gen schaffen
  • Bestehende Lösungen für das Lieferketten-Management mit intelligenten digitalen Anwendungen ergänzen
  • Vorkonfigurierte Template-Lösungen On-Premise im Rahmen der Wartung bereitstellen
  • Weitere Nachhaltigkeitslösungen entwickeln

Das Gros der mittelständischen Unternehmen nutzt IT-seitig SAP. Wo muss SAP mit adäquaten Lösungen noch nachlegen? Und wie ist hierzu der aktuelle Stand?

Karin Gräslund: Wir SAP-Anwenderinnen und -Anwender werden auf jeden Fall gehört. Und wir sind sehr zuversichtlich, dass es nicht nur Lösungen für die Großen geben wird, sondern auch für die vielen langjährigen Kundinnen und Kunden, die noch mit On-Prem-Systemen und alten Wartungsverträgen unterwegs sind. Wir als DSAG schauen sehr genau hin und sehen im Moment viel Bewegung: das heißt, wir bleiben optimistisch, selbst in diesen besonderen Zeiten, wo es an mehr als nur einer Ecke zu „brennen“ scheint. Was wir allerdings fordern, ist eine starke Konzentration auf den Netzwerkgedanken, auf Partizipation! Es muss möglich sein, dank Automatisierung einen – vereinfacht gesagt – „Datenstaubsauger“ zu entwickeln, der erst über eine genormte und später über eine europäische Steckdose Unternehmen hilft, alle Daten und Informationen zu sammeln und aktuell zu halten. Denn eines ist sicher: Das europäische LkSG wird noch härter!

Arbeitskreis SAP Environment, Health and Safety (EHS) & Product Compliance

Unterstützt bei allen Aufgaben rund um die Erfüllung internationaler Sicherheitsstandards, Richtlinien und Vorschriften im Gesundheits-, Umwelt- und Arbeitsschutz.

Inwieweit kann die DSAG die SAP-Anwenderschaft praktisch unterstützen?

Karin Gräslund: Wir diskutieren mit SAP auf Augenhöhe, sowohl beim Management als auch bei der Produktentwicklung. Unsere Bedarfe und auch unsere Kritik sind platziert. Wir haben bei der DSAG schon länger ein Forum Sustainability ins Leben gerufen, bieten eine Webinar-Reihe Sustainability an und haben auch eine Themengruppe zu Sustainable Finance gegründet, die das Thema bis ins kleinste Detail beleuchten wird.

Glossar

SAP Ariba Supplier Risk
Ermöglicht es, erforderliche Risikoprüfungen innerhalb der Beschaffungsprozesse (Source-to-pay) zu integrieren. Hinweis: Die Nutzung von SAP Ariba ist keine Voraussetzung, um Ariba Supplier Risk Management einzusetzen.

SAP EHS
Das SAP Modul für Environment, Health & Safety Management ist wie gemacht, um Nachhaltigkeit abzubilden. Und noch für vieles darüber hinaus.

SAP Sustainability Control Tower
Cloud-basiertes Dashboard, das Unternehmen ermöglicht, Nachhaltigkeit nachvollziehbar in ihren Abläufen zu verankern und ihre „grüne Bilanz“ anhand von Nachhaltigkeitskennzahlen zu steuern und zu verbessern.

SAP S/4HANA for Product Compliance
Erleichtert den Umgang mit Marktfähigkeitsdaten und ermöglicht deren naht­lose Integration in Geschäftsprozesse.

Welche Empfehlung geben Sie mittelständischen Unternehmen in Bezug auf das LkSG?

Karin Gräslund: Es sind besondere Zeiten, eine Krise folgt auf die nächste. Aber: Wenn man nicht anfängt, geht man unter. Also sollten wir es einfach anpacken. SAP könnte bspw. eine technische Lösung für die Berichterstattung anbieten, und die Nachweispflicht für KMU in Form eines „kleineren“ Reportings ermöglichen. Derartige Standards könnten schnell Schule machen, den Mittelstand entlasten und vielleicht den dringend benötigten Mut verleihen, den viele Unternehmen für die ersten Schritte noch benötigen.

Arbeitsgruppe SAP Ariba Supplier Risk

Ermöglicht es, Risikoprüfungen wie z. B. Due-Dilligence innerhalb der Beschaffungsprozesse (Source-to-pay) zu integrieren. Wichtig: Die Nutzung von SAP Ariba ist keine Voraussetzung, um Ariba Supplier Risk Management einzusetzen.

Welche Nachbesserungen halten Sie für das LkSG ganz generell für wichtig?

Cornelia Upmeier: Zuerst brauchen die Unternehmen die konkreten Umsetzungsschritte des BAFA. Zweitens wären Sanktionslisten hilfreich, die über intelligente Datenbankabfragen erstellt werden könnten, z. B. bezüglich Unternehmen oder Ländern, die per se nicht als Wirtschafts-/Vertragspartner in Frage kommen, weil sie z. B. in der Vergangenheit bereits durch Kinderarbeit aufgefallen sind. Dies würde dem einzelnen Betrieb viel Zeit und Aufwand sparen, wenn es hier verbindliche und niedrigschwellige Listen gäbe.

Karin Gräslund: Ich wünsche mir mehr Mut, und zwar von unseren staatlichen Stellen und unserer Verwaltung. Mut, auch mal Fehler zu riskieren und gleichzeitig Leuchtturmprojekte zu initiieren, dieses Wissen zu teilen und zu einem Community-Thema zu machen, denn nichts anderes ist unsere hochkomplexe, miteinander verwobene Welt. Und natürlich eine fertige technische Infrastruktur, die alle Informationen enthält und wo man sich nur noch „einloggen“ muss.

Bildnachweis: DIHK|Deutscher Industrie und Handelskammertag e.V., DSAG, iStock+Freepick, Freepick

Vielen Dank für das Gespräch!

Autorin

Autorin: Sarah Meixner
blaupause-Redaktion
blaupause@dsag.de