Unter Strom

Rund um die Uhr versorgen die Stadtwerke München (SWM) ihre Kundinnen und Kunden mit Energie, Mobilität, Telekommunikation und Trinkwasser. Eine anspruchsvolle, systemkritische Aufgabe, bei der es ebenfalls gilt, die ständig wechselnden gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. Um die IT dafür fit zu machen, wurde das MARS- (Modernisierung der Architektur unserer SAP-Landschaft) Projekt ins Leben gerufen. Reinhard Döring, Principal Solution Architect bei den SWM, im Interview mit der blaupause zu Teilprojekten und ersten Erfolgen.

Welchen Herausforderungen sehen sich die SWM aktuell gegenüber? Und was bedeutet das konkret für Ihre IT-Landschaft?

Reinhard Döring: Seit März 2019 hieven wir unsere gesamte SAP-Landschaft von SAP ECC (ERP Central Component) auf S/4HANA, da wir bis 2027 eine komplett hybride IT-Architektur haben wollen. Dafür haben wir zehn Leitlinien entwickelt, die mittlerweile als die „10 Gebote“ bei den Stadtwerken München kursieren. Sprich, es ist bekannt, was wir vorhaben und vor allem, was die Gründe dafür sind.

Warum fiel die Entscheidung für S/4HANA und die Business Technology Platform (BTP)?

Geholfen hat uns eine umfangreiche, standardisierte Marktanalyse, die anhand definierter Kriterien eine marktrollenspezifische Bewertung ermöglichte. Das Ergebnis war eindeutig: Die SAP-Lösungen S/4Utilities und die Cloud-Lösung Market Communication for Utilities (MC4U – MaCo-Cloud) gemeinsam mit der SAP Business Technology Platform (BTP; siehe Glossar) bildeten die Anforderungen der SWM am besten ab. Auf jeden Fall erwähnenswert ist, dass wir nicht nur On-Prem-Lösungen, sondern auch die SAP-MaCo-Cloud einsetzen. SWM geht aber über diese Software-as-a-Service- (SaaS-) Lösung hinaus und nutzt für die S/4HANA-Transformation die SAP Business Technology Platform.

Glossar

SAP S/4HANA Utilities

Mit dem Nachfolger von SAP IS-U (SAP Utilities) können sich Versorgungsunternehmen für die digitale Versorgungswirtschaft rüsten und alle Aufgaben rund um geänderte Kundenbedürfnisse, neue gesetzliche Auflagen und betriebliche Anforderungen in u.a. Finanzwesen, Vertrieb, Instandhaltung, Abrechnung und Kundenservice umsetzen.

SAP Market Communication for Utilities (MC4U – MaCo-Cloud)

Cloud-basierte Lösung für die ganzheitliche Verwaltung von Kommunikationsprozessen im deutschen Energiemarkt.

SAP Business Technology Platform (BTP)

Vereint Unternehmensanwendungen mit Datenbank- und Datenmanagement-, Analyse-, Integrations- und Erweiterungsfunktionen auf einer Plattform für Cloud und Hybrid-Umgebungen, inklusive hunderter vorkonfigurierter Anwendungen für SAP und Drittanbieter.

SAP In-App Extensibility

Anpassung von Standardfunktionen in S/4HANA mittels integrierter Funktionen, ohne dafür externe Tools nutzen zu müssen (z. B. für das Ein- oder Ausblenden von Standardfeldern für bestimmte Nutzergruppen).

SAP Model Company (MC)

Vorkonfigurierte End-to-End-Prozesse, Business-Inhalte und Acceleratoren für unterschiedliche Branchen und Geschäftsbereiche, die die Einführung von S/4HANA oder anderer Suite-Komponenten beschleunigen.

SAP Activate

Einführungsmethodik für einen transparenten Prozess mit strukturierten und lösungsspezifischen Verfahren.

SAP Focused Build

Agile, integrierte und tool-gestützte Methodik, mit deren Hilfe sich komplexe Einführungs- oder Migrationsprojekte effizient steuern lassen.

Welche Prozesse haben Sie schon realisiert, wo kommen Sie gut voran?

Ganz klar sind wir schon im Bereich Integration ein großes Stück vorangekommen, sowohl was SAP mit SAP als auch Non-SAP mit SAP betrifft. Mit Hilfe der Integration Suite, die auf der BTP läuft, wird SAP Process Orchestration (PO) dieses Jahr final abgelöst. Neben der technischen Lösung profitieren wir auch noch vom SAP-Framework Integration Solution Advisory Methodology (ISA-M).

Stadtwerke München GmbH

Die Stadtwerke München sind mit ca. 10.000 Mitarbeitenden einer der größten deutschen Energieversorger und eines der größten kommunalen Unternehmen Deutschlands. Sie liefern Energie (Strom, Erdgas, Fernwärme, Fernkälte, Photovoltaik) sowie quellfrisches Trinkwasser aus dem bayerischen Voralpenland. Zu den Leistungen gehören außerdem das Netz-Management für die Energie- und Wassernetze, die Verteilung und der Vertrieb. Die SWM sind außerdem Vorreiter bei den erneuer­baren Energien (Solar, Wind, Geothermie) und engagieren sich beim Glasfaser-Netzausbau und Fern­wärmeausbau sowie der umwelt- und stadtverträglichen Mobilität mit U-Bahn, Bus und Tram.

Sehen Sie bereits erste Erfolge?

Die BTP wurde im Teilprojekt „Mariner“ mit Fokus auf die Integration Suite eingerichtet und als Grundlage für deren Nutzung wurden bspw. das Betriebskonzept erstellt sowie ein Identity and Access Management (IAM) implementiert. Aktuell steht diese Lösung schon einigen Architekten, Entwicklern und Administratoren zur Verfügung. Diesen Nutzerkreis wollen wir zügig auf den ganzen Konzern erweitern. Denn der Aufwand für Integrationsthemen hat sich teilweise bereits um mehr als 50 Prozent verringert, und das bei gleichzeitiger Standardisierung, geringeren Wartungskosten und einer erhöhten Sicherheit.

SWM MARS Methodology Cycle

Erweiterungen sind ein wichtiger Fokus innerhalb des MARS-Projekts: Was läuft hier nun anders als früher?

Es gibt nur noch bestimmte Erweiterungen direkt im Kernprozess, alles andere sind Side-by-Side-Szenarien in der BTP. Mit Hilfe der SAP Application Extension Methodology (AEM) geben wir den Entwicklern eine Guideline, wie Erweiterungen durchzuführen sind, und sorgen dafür, dass diese künftige Release-Wechsel und Upgrades der Standardsoftware nicht beeinflussen. Damit senken wir gleichzeitig die Wartungskosten. Praktisch werden Erweiterungen nun entweder über Side-by-Side-Extensibility auf die BTP verlagert – wie z. B. das ABAP-Environment mit dem Restful-ABAP-Programmiermodell (RAP) – oder über die In-App-Extensibility (siehe Glossar Seite 49) ohne Beeinflussung des Cores stattfinden. Ein Beispiel für Side-by-Side wäre auch die Low-Code-Umsetzung von Geschäftsprozessen über den SAP Workflow Service. Wichtig ist, nicht nur die Umsetzung dieser Szenarien, sondern auch den Betrieb zu bedenken.

„Für die Transformation einer SAP-Landschaft ist Rückendeckung durch das Management aufgrund bereichs-übergreifender Maßnahmen das A&O für den Projekterfolg!“

Reinhard Döring, Principal Solution Architect bei den SWM GmbH

Reinhard Döring

Principal Solution Architect, Stadtwerke München GmbH

Welche Neuerungen gibt es beim Thema User-Experience (UX)?

Wir haben eine Fiori-First-Strategie: Alle Anwenderinnen und Anwender sollen nur noch über ein zentrales Fiori-Launchpad in der Cloud zugreifen. Egal, in welchem System sie unterwegs sind, seien es Messstellenbetreiber, Netzbetreiber oder Lieferanten. Damit profitieren die Mitarbeitenden von einer konsistenten Benutzeroberfläche ohne Medienbrüche. Aus diesem Launchpad werden verschiedene User-Interfaces (UIs) gestartet, wie z. B. die Fiori-App, die SAP-GUI-Transaktion als Web-GUI-Darstellung oder eben eine externe (Web-) Anwendung. Realisiert wird das Launchpad über den SAP Launchpad Service in der BTP, ebenfalls von den einzelnen Core-Systemen entkoppelt, was die Flexibilität erhöht.

Was die SAP-Landschaft unter Druck setzt

  • Wartungsende der aktuellen ECC-Landschaft, besonders der Intercompany-Data-Exchange- Extended (IDEX)-Komponenten für die deutschlandspezifischen Prozesse der Marktkommunikation
  • Laufende Anpassungen aufgrund gesetzlicher Anforderungen (z. B. Trennung Markt- und Messlokation sowie Marktkommuni­kation), die einen extrem hohen Aufwand verursachen und viele Ressourcen binden
  • Paradigmenwechsel Richtung Integration von SAP- und Non-SAP-Komponenten, die im Zuge der Digitalisierung immer wichtiger wird und zu einer flexibleren Gesamtarchitektur und beschleunigten Entwicklungszeiten und -zyklen beiträgt

In Ihrer Branche sind Sie stark auf Analytics, Berichte und Reporting angewiesen – welche Lösung hilft Ihnen am besten?

Die SAP Analytics Cloud mit Business Intelligence (BI)-Komponenten löst alte Reports und Excel ab, endlich! Ein besonderes Augenmerk müssen wir hier auf die rechtliche Komponente – Stichwort Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) – legen. Unser Ziel ist, von einem hohen Self-Service-Grad zu profitieren, indem Anwenderinnen und Anwender individualisierbare Berichte aus den Fachbereichen erhalten und dank intuitiver Bedienung selbst leichter und schneller eigene Dashboards anlegen können. Erweiterte Analysemöglichkeiten vereinfachen Arbeitsabläufe immens: z. B. die einfachere Datenvisualisierung von Diagrammen sowie die Möglichkeit, unterschiedliche Daten leichter miteinander zu kombinieren. Wir profitieren heute von diversen Auswertungsmöglichkeiten mit umfassender Ergebnisdarstellung, auch in Echtzeit.

Wie sieht die Praxis aus, wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem Fachbereich?

Bereits bei der Fit-Gap-Analyse mittels der SAP Model Company (siehe Glossar) und der angebundenen MC4U haben Fachbereich und IT intensiv in gemeinsamen Arbeitsgruppen die Prozesse und Anforderungen erarbeitet. Seit der Umsetzungsphase ab Q1/2022 wird über SAP Activate und SAP Focused Build (siehe Glossar) die agile Zusammenarbeit von Fachbereich und IT weiter forciert.

Fiori- und RAP-Extension in the Cloud

Wie ist Ihre Zusammenarbeit mit SAP?

Der regelmäßige Austausch zu wirtschaftlichen und technischen Themen mit SAP war und ist sehr hilfreich. Eine noch intensivere Zusammenarbeit erwarten wir uns auf jeden Fall in der Umsetzungsphase dank der Expertise aus dem SAP Premium Engagement.

Herausforderungen

  • Know-how aufbauen
  • Cloud-Mindset schaffen
  • Änderungsgeschwindigkeit der SAP BTP
  • Voraussetzungen für eine hybride Architektur schaffen (z.B. Identity and Access Management (IAM), Security und Datenschutz)
  • Change-Management durchführen
  • Hohe Komplexität der aktuellen Systemlandschaft
  • Einsatz agiler Methoden im SAP-Umfeld

Profitieren Sie von der DSAG?

Auf jeden Fall! Die DSAG-Leitfäden wie z. B. zum Thema „Hybrider Betrieb“, Webinare zu S/4HANA-Utilities und Informationen aus den Technologietagen waren bisher sehr hilfreich. Auch die kritische Auseinandersetzung mit SAP-Themen gab gute Denkanstöße für die Strategie unseres MARS-Programms. Was ich mir wünschen würde, wären mehr Berichte und Erfahrungen zu Cloud-Themen.

Realisierung von sechs Live-Schnittstellen

  1. BiMS-Integration (Anbindung von Drittsystemen an die Betriebsüberwachung intelligenter Messsysteme)
  2. Compliance-Catalyst-Integration (Anbindung des Compliance-Catalyst zur automatischen Durchführung von Geschäftspartnerprüfungen)
  3. Talentlink-Integration (Integration zu Cornerstone-Talentlink)
  4. Netzbetreiber-Einspeiserportal (Portal mit Zugriff auf IS-U-Netz und IS-U-MSB für Kunden mit Einspeiseanlagen)
  5. U-Bahn-Messanlage Calipri (das Calipri-Messgerät wird als externe Hardware über das Internet an das SWM-Netz angebunden)
  6. MNet: Smart Procurement (Anbindung von WPS SmartProcurement an das SAP FI/MM-System der MNet)

Was würden Sie anderen Unternehmen aus Ihrer Erfahrung heraus mit gleichen oder ähnlichen Projekten raten?

Nehmen Sie sich vor Beginn eines derartigen Projekts vor allem ausreichend Zeit, die Fundamente, Integration, Extensibility, UX-Strategie und Analytics einer hybriden Systemlandschaft zu definieren. Und begreifen Sie die Transformation als Chance, um Prozesse verbessern zu können.

Noch ein kurzer Ausblick: Was ist bei den SWM IT-seitig weiter geplant?

Nach der Transformation der Marktrolle des Messstellenbetreibers folgen die Rollen Netzbetreiber und Lieferant, danach wird der SAP Core nach S/4HANA und SAP Human Capital Management (HCM) transformiert.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Bildnachweis: Stadtwerke München/SAP SE

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