Auf den Weg gebracht

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Die EU-Taxonomie konfrontiert Unternehmen mit einem komplexen Regelwerk, das im Reporting integriert werden muss – und genauso hoch sind die Hürden, die Unternehmen dafür IT-seitig überwinden müssen. Hier braucht es flexible Lösungen, die den Brückenschlag in die Praxis erleichtern. Wie eine Lösung für ein praktikables Taxonomie-Reporting aussehen kann, haben Martin Momberg, Vice President CREST Finance Business Intelligence & Analytics, und Dr. Klaus Hufschlag, Senior Vice President Sustainability Reporting & Controlling bei DPDHL Group, mit SAP in einem Proof-of-Concept (PoC) erarbeitet.

Was bedeutet die EU-Taxonomie für Ihr Unternehmen?

Martin Momberg: Mit der Einteilung in nachhaltig/taxonomiekonform und nicht nachhaltig/nicht taxonomiekonfom einerseits und der Gliederung nach Wirtschaftsaktivitäten andererseits schafft die Taxonomieverordnung von 2019 eine komplett neue Sicht auf die Finanzkennzahlen eines Unternehmens und somit ein komplett eigenes Reporting. Für uns als Unternehmen resultiert dies in zwei Fragestellungen: Erstens, wie gliedern wir unsere Finanzen in die geforderte Sicht nach Aktivitäten und führen die Prüfung der Taxonomiekonformität durch? Zweitens, wie integrieren wir alle notwendigen Daten und vernetzen unsere Quellsysteme? Bisher gab es keine umfassende Software-Lösung, die das leisten kann. Daher haben wir uns bis heute mit einer kleinen internen Data-Warehouse-Lösung und Microsoft Excel ausgeholfen.

Klaus Hufschlag: Als Unternehmen, in dem Nachhaltigkeit schon lange einen großen Stellenwert hat, halten wir den Grundgedanken der Taxonomie, Kapitalströme nachhaltig zu lenken und darauf zu achten, wie sich Unternehmensaktivitäten auf Umwelt, Soziales und Unternehmensführung auswirken, für wichtig. Allerdings braucht es praxistaugliche Regelungen und Lösungen für die Unternehmen, sonst wird das Ziel verfehlt. Die jetzige Regulierung ist mit der Kombination aus „wesentlichen Beiträgen“ zu den Umweltzielen und einer Vielzahl von „Do-no-significant-Harm“-Nebenbedingungen extrem komplex und detailverliebt – und auch noch nicht abgeschlossen, da erst für zwei von sechs Umweltzielen Kriterien definiert worden sind. Unternehmen müssen diese Komplexität im Reporting bewältigen und dabei gleichzeitig sehr flexibel bleiben.

Die große Herausforderung ist nach wie vor, die Taxonomie und ihre Kriterien sauber abzubilden und in Prozesse einzubetten, gleichzeitig aber auch maximal flexibel für die sich weiterentwickelnde Regulatorik zu bleiben

Klaus Hufschlag

Dr. Klaus Hufschlag,

Senior Vice President Sustainability Reporting & Controlling bei DPDHL Group

Wie kam es zum Proof-of-Concept (PoC) mit SAP?

Martin Momberg: Ich bin, wie die Kolleg:innen von SAP, davon überzeugt, dass eine Lösung machbar ist, und zwar basierend auf der Standard-Software. Allerdings nicht innerhalb des Enterprise-Resource-Planning (ERP)-Systems, hier gilt nach wie vor der Ansatz „Keep the Core clean“. Vielmehr eignen sich die Business-Intelligence (BI)-Ebene und der SAP Sustainability Control Tower (SCT), der als Meta-Ebene oberhalb des ERP angesiedelt ist.

Welche Aufgaben haben Sie mit in den PoC genommen?

Klaus Hufschlag: Die große Herausforderung ist nach wie vor, die Taxonomie und ihre Kriterien sauber abzubilden und in Prozesse einzubetten, gleichzeitig aber auch maximal flexibel für die sich weiterentwickelnde Regulatorik zu bleiben. Man muss sich vor Augen halten, dass die Taxonomie für die Konformität jeder einzelnen abgedeckten Wirtschaftsaktivität ein spezifisches, eigenes Set an Haupt- und Nebenbedingungen definiert, die von den Unternehmen geprüft werden müssen. So muss z. B. für jedes Elektrofahrzeug neben seiner Emissionsfreiheit u. a. zusätzlich geprüft werden, ob die verwendeten Reifen in die aktuell nach Rollwiderstand und Rollgeräusch besten am Markt verfügbaren Reifenkategorien fallen – also gegen ein dynamisches Kriterium.

Martin Momberg: Nicht zu vergessen, dass es zwar eine europaweite Regulatorik ist, wir aber über den ganzen Konzern, d. h. mit weltweitem Scope, berichten müssen. Kinderkrankheiten waren zu erwarten, wir Anwender:innen erwarten dann aber auch Lösungen dafür. Und wir sind nicht die Einzigen, andere Firmen haben aktuell dieselben Probleme wie wir.

Themengruppe Nachhaltigkeits­bilanzierung (Sustainable Accounting)

Die Themengruppe beschäftigt sich mit Nachhaltigkeitsbilanzierung im Rechnungswesen. Dabei geht es um die Ermittlung und Bereitstellung von Kennzahlen, die gesetzlich (EU-Taxonomie, HGB usw.) bzw. aktienrechtlich (IFRS usw.) im Rahmen eines Einzelabschlusses gefordert werden. In der Gruppe sollen auch Anforderungen außerhalb der DSAG-Mitgliedsländer in den Diskussionen berücksichtigen werden, um global agierenden DSAG-Mitgliedern weiterzuhelfen. Hierbei soll die Gruppe zentraler Ansprechpartner für SAP und DSAG-Mitglieder sein, um die Thematik fachlich und technisch im Sinne der DSAG-Mitglieder nach vorne zu bringen und zu begleiten.

Was war das Ergebnis aus der Zusammenarbeit mit SAP?

Martin Momberg: SAP sieht ihr Produkt SCT als eine Basis für Lösungsszenarien. Ich denke, dieser eignet sich sicher, muss jedoch noch kräftig ausgebaut werden, um zukünftige verpflichtende Anforderungen an das Nachhaltigkeitsberichtswesen unterstützen zu können. So müssen für die Taxonomie die Zuweisung (Allocation) von Finanzinformationen auf Taxonomie-Aktivitäten und die Über­prü­fung (Screening) dieser Aktivitäten auf Konformität mit den Taxonomie-Kriterien zusammengebracht werden. Unser gemeinsames Ziel im PoC war, dass wir Lösungen kreieren, die wir in unsere verschiedenen Systeme hineinvernetzen können, ohne im Quellsystem, also beispielsweise im Financials (FI)-Modul, etwas zu verändern. Und natürlich müssen auch Non-SAP-Systeme integrierbar sein.

Wir und die Kolleg:innen von SAP sind überzeugt, dass eine Lösung machbar ist, und zwar basierend auf der Standard-Software.

Martin Momberg

Martin Momberg

Vice President CREST Finance Business Intelligence & Analytics

Was sind weitere Herausforderungen?

Martin Momberg: Ganz klar die vielen unterschiedlichen Daten, mit welchen wir es zu tun haben. Denn wir stoppen ja nicht bei den Finanzfunktionen, sondern nutzen und benötigen auch Daten aus bspw. Real Estate oder Operations, wie im genannten Beispiel über die Reifen. All diese Informationen prozessual zu integrieren und in einer gemeinsamen Datenablage zu konsolidieren, ist eine Mammutaufgabe.

Schöne neue Cloud-Welt: Welchen Nutzen können diese Lösungen Anwender:innen bieten?

Martin Momberg: Ich glaube, dass wir von Cloud-Lösungen profitieren können, wenn wir damit Screening-Prozesse abbilden wollen – nicht zuletzt auf Grund der Dynamik der Screening-Kriterien. Der SCT, ergänzt um neue Tools, die z. B. die Finance-Daten aufbereiten und das Assessment und Screening der Taxonomieobjekte abbilden: das wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Wie war die Zusammenarbeit mit den Kolleg:innen von SAP?

Martin Momberg: Unsere Workshops waren von Anfang an interdisziplinär gestaltet, und das war sehr wichtig. Auf der Seite von DPDHL Group haben uns 30 Kolleg:innen aus allen Funktionen begleitet, seitens SAP waren die Mitarbeitenden aus dem App-House dabei. Besonders hervorzuheben ist, dass unter all unseren Ideen, Fragen und Forderungen ein gemeinsamer Nenner stand: Die Frage, wie wir gemeinsam einen Nutzen stiften können. Dazu war und ist viel Wissen und noch mehr visionäres Potenzial nötig, damit am Ende alle notwendigen Funktionen und Tools über die Standard-Software parat stehen. Denn wie bereits erwähnt: Die EU-Taxonomie ist ja erst der Anfang, ein europäisches Nachhaltigkeits-Reporting bereits auf dem Weg.

Stichwort: Lessons learned. Was können Sie Kolleg:innen mit ähnlichen Vorhaben mit auf den Weg geben?

Martin Momberg: Es lohnt sich, offen auf SAP zuzugehen und das eigene Know-how über Geschäftsprozesse und Nachhaltigkeitsaktivitäten mit dem methodischen Know-how im Anwendungs-Design und der technischen Kompetenz in der Software-Entwicklung seitens SAP zusammenzubringen. Beide Teams haben vom jeweils anderen profitieren können. Ich bin daher der Überzeugung, dass wir gemeinsam etwas aufbauen können, das nicht nur uns, sondern auch anderen Kund:innen von SAP weiterhelfen kann.

Was erwarten Sie 2023?

Klaus Hufschlag: Viele Unternehmen warten auf derartige Lösungen. Bisher konnten wir uns zwar mit selbstkreierten Templates und Datenbank-Tools behelfen, z. B. für das Screening der Fahrzeuge – aber nach vorne hin brauchen wir eine Software, die uns beim Reporting nach der Taxonomieregulierung von A bis Z unterstützt. Dabei wäre uns wichtig, dass auch hybride bzw. Non-SAP-Landschaften davon profitieren können.

Martin Momberg: Wir haben dieses Jahr die Hoffnung, noch einen Piloten starten zu können, wissen mittlerweile aber auch: Standardprodukte zu entwickeln dauert. Den Blick weiter in die Zukunft gerichtet würden wir uns wünschen, dass Finanz- und Nachhaltigkeits-Reporting noch besser miteinander integriert und mit einer harmonisierten Tool-Landschaft für das Berichtswesen unterstützt werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Deutsche Post DHL Group

Deutsche Post DHL Group ist ein weltweit führender Logistikanbieter und vereint zwei starke Marken: DHL bietet ein umfangreiches Service-Portfolio aus Paketversand, internationalem Expressversand, Frachttransport, Supply-Chain-Management und E-Commerce-Lösungen. Die Deutsche Post ist Europas führender Post- und Paketdienstleister. Das Unternehmen beschäftigt rund 590.000 Mitarbeitende in über 220 Ländern und Territorien der Welt. 2021 erzielte der Konzern einen Umsatz von mehr als 81 Mrd. Euro.

Bildnachweis: Adobe Stock+Daniella Winkler, Deutsche Post DHL Group,

Autorin

Autorin: Sarah Meixner
blaupause-Redaktion
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