Im Laufe der Pandemie stieg sowohl die Zahl der Impfstoffe als auch der Lieferungen. Folge: Einfache Excel-Tabellen und eine manuelle, papiergebundene Dokumentation über die Impfstoffverteilung reichten nicht mehr aus, um eine professionelle Bestands- und Lagerführung in Rheinland-Pfalz sicherzustellen. Deshalb bildet das Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit Rheinland-Pfalz die digitale Impflogistik für die Impfzentren mit SAP ab, in der Hochzeit 2021 für 140 User in 32 Impfzentren. Das ganze Szenario läuft komplett in der Cloud.
An Impfstoffen gegen das Corona-Virus mangelt es derzeit zum Glück nicht mehr. Bis Mitte 2021 war das noch ganz anders. Die Massenproduktion von BionTech, AstraZeneca & Co. war erst angelaufen und wer – je nach Risikogruppe – einen der raren Termine ergattert hatte, durfte froh sein. Für die Länder bedeutete dies aber gleichzeitig: Das Wenige, das zur Verfügung stand, galt es, bestmöglich an die Impfzentren bzw. von dort entsprechend der rechtlichen und medizinischen Vorgaben an die priorisierten Gruppen zu verteilen.
Logistische Herausforderungen dieser Art bedürfen anderer Instrumente als nur Excel-Listen und Papierordner. Eine professionelle Lager- und Bestandsverwaltung mit SAP S/4HANA in der Cloud schwebte Dr. Alexander Wilhelm vor, seinerzeit rheinland-pfälzischer Gesundheitsstaatssekretär und Impfkoordinator des Landes. Sachsen hatte bereits ähnliche Erfahrungen mit einer solchen Lösung gesammelt, auf die man in Rheinland-Pfalz aufbauen wollte. Vor allem aber musste das Ganze so schnell und nachhaltig wie möglich umgesetzt werden. Kein lang vorbereitetes IT-Projekt also, bei dem man Soft- und Hardware kauft, die ein halbes Jahr später schon nutzlos herumsteht (die meisten Impfzentren sind mittlerweile geschlossen!).
Klischee der langsamen Verwaltung aufs Gründlichste widerlegt
„Kurze IT-Projekte in der Behörde sind ja die Quadratur des Kreises“, weiß Hermann-Josef Haag, Leiter des SAP-Customer-Center-of-Expertise des Landesamts für Finanzen Rheinland-Pfalz und zudem Fachvorstand Personalwesen & Public Sector der DSAG. „Genau dies gelang uns aber hier. Das Klischee der langsamen Verwaltung haben wir mit diesem Projekt aufs Gründlichste widerlegt.“
Auftraggeber für die Einrichtung einer Impflogistik mit SAP in der Cloud war das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie (heute Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit). Mit der Umsetzung betraut wurde ein 14-köpfiges Projekt-Team unter Leitung von Hermann-Josef Haag. Zu ihm gehörten zum einen Fachkräfte aus dem Ministerium und der zentralen Terminvergabe (deren Ergebnisse in die Bestandsplanung und neue Logistik aufzunehmen waren). Mit dabei waren außerdem SAP sowie Vertreterinnen und Vertreter der Impfzentren als Hauptakteure der Bestands- und Lagerverwaltung. Mit diesem Team gelang es, in sehr kurzer Zeit eine vollständige SAP-Lösung für die Logistikkette, -planung und das Reporting einzuführen.
Der Zeitplan war in der Tat bemerkenswert. Nach einem ersten Gespräch am 18. Januar 2021 wurde zunächst das sächsische SAP-Projekt begutachtet, dann eine Marktanalyse vergleichbarer Lösungen durchgeführt und nach Erfüllung aller Vergabe- und juristischer Voraussetzungen bereits am 6. Februar der Auftrag an SAP erteilt. Hermann-Josef Haag: „Für die Verwaltung ist das fast Lichtgeschwindigkeit, wenn man überlegt, in welchem Tempo andere Beschaffungsprozesse dort laufen.“ Nach weiteren fünf Tagen waren die zentralen Komponenten des S/4HANA-Systems auf 18 Servern in der Private Cloud (HANA Enterprise Cloud Option) eingerichtet: allein acht Produktions-Server neben dem S/4HANA-System, ein Daten-Agent für den Austausch mit der Integrated-Business-Planning-Plattform, ein Integrations-Server, Web Dispatcher, außerdem zwei SaaS-Lösungen für die Planung und Analyse (Analytics Cloud).
Produktivstart 14 Werktage nach Auftragserteilung
Parallel starteten erste Workshops; zwei Tage vor dem Go-live erhielten gestaffelt alle Impfzentren Online-Schulungen, zusätzlich wurden fünf Lehrvideos produziert. So konnte die Bestandsführung ab dem 26. Februar in den Impfzentren voll produktiv eingesetzt werden – gerade einmal 14 Werktage nach Auftragserteilung! In dieser Zeit ein komplettes S/4HANA-System mit der Bestandsführung einzuführen – dies funktionierte nur, weil alle im Projekt-Team an einem Strang zogen. Auch die Zulassung von Impfstoffen wurde während dieser Zeit noch diskutiert, zunächst AstraZeneca, dann Biontech, anschließend Johnson & Johnson und Moderna. Weitere Verbesserungen wie die Planungskomponente und ein Dashboard wurden nach dem 26. Februar hinzugefügt. So wurde das Einführungsprojekt am 1. Mai abgeschlossen, der Regelbetrieb mit allen Erweiterungen konnte starten.
Zahlen
- 4 Impfstoffe mit unterschiedlichen Eigenschaften
- 32 Impfzentren werden versorgt
- 25.000 erzeugte Buchungsbelege
- 18 Server in der Private Cloud
- 140 User
- 2 SaaS-Lösungen in die Impflogistik integriert
Buchung, Planung und Reporting als integriertes System
Kern der Lösung war ein S/4HANA-System für die Bestandsführung als klassisches Buchungssystem. In ihm wurden die Impfstoffe mit ihren Chargen und Eigenschaften (Wie viele Impfungen sind nötig, in welchem Abstand müssen sie stattfinden?) und ihre Weitergabe an die Impfzentren (sowie weiterführend mobile Impf-Teams, Arztpraxen etc.) verbucht und verwaltet. Lieferant an die Länder ist der Bund, der die Impfstoffe über einen Einwohnerverteilschlüssel an die Zentrallager der Länder verschickt. Das neue System versetzt das Ministerium in die Lage, die Lieferaufträge vom rheinland-pfälzischen Zentrallager an die einzelnen Impfzentren zu generieren – ohne Papier, Excel und mit vollständiger Transparenz. Eine einzige Person im Ministerium braucht für die gesamte Logistikplanung und Bestandsverwaltung Tausender von Impfungen täglich gerade mal noch eine halbe Stunde am Morgen; insgesamt wurden drei Fachkräfte für die Bedienung des Systems trainiert.
Inzwischen sind nur noch ein halbes Dutzend Impfzentren geöffnet, in der Hochzeit 2021 erhielten indes alle 32 Zentren 2-3 Mal pro Woche neue Lieferungen, die jeweils im S/4HANA-System verbucht wurden. Weitere Buchungen waren die Herausgabe von Impfstoff von den Zentren an mobile Teams für Altenheime, an Krankenhäuser, sonstige Einrichtungen und auch andere Impfzentren. Allabendlich fand eine Inventur statt, um den Tagesverbrauch zu erfassen. 140 Mitarbeitende in den landesweit 32 Impfzentren waren als User angemeldet und erzeugten im System während dessen Nutzungsdauer rund 25.000 Buchungsbelege, die Fiori-Oberfläche erleichterte dabei die Bedienung.
In das Buchungssystem integriert wurde als zweiter wichtiger Baustein eine SaaS-Planungskomponente (Integrated Business Planning). Angesichts der Knappheit der Impfstoffe war diese essentiell, um darin die Verteilung vom rheinland-pfälzischen Zentrallager an die Impfzentren planen und simulieren zu können. Das Planungssystem ermittelte automatisch den Bedarf, ein Lieferschein wurde in S/4HAHNA erzeugt und in dreifacher Ausführung an das Zentrallager übergeben: einen zum dortigen Verbleib, die anderen bestimmt für Empfänger (Impfzentrum) und Logistiker. Über ein Excel-Plugin lässt sich die Komponente quasi intuitiv nutzen. Überbestände sind sofort an rot gefärbten Zahlen zu erkennen, Datenveränderungen werden blau angezeigt. Filter erlauben den gezielten Einstieg in die verschiedenen Planungsszenarien.
Die IBP-Komponente ermöglicht eine zweigeteilte Planungssicht: Terminvergabe im Impfzentrum (Übersicht der Termine, Auslastung, Verteilschlüssel, Lieferavisierungen) und Disposition des Impfstoffs (Überblick über den Bestand im Zentrallager und in den Zentren). Hilfreich ist auch eine „Was-wäre-wenn“-Simulation im Planungs-Tool für den Fall, dass Paletten ausfallen oder auch, dass AstraZeneca auf einmal nicht mehr verimpft werden darf – genauso, wie es in der Realität dann auch prompt geschah. Hier mussten auf einmal hunderte Termine umgeschichtet werden – eine hohe Komplexität, die sich mit dem Planungssystem hervorragend abbilden ließ.
Über die Cloud-Platform-Integration sind IBP und Buchungssystem mit dem Termin-Managementsystem verbunden – de facto die Impfdokumentation. So lassen sich die Ergebnisse aus der Planung in S/4HANA übertragen und weiter in das Termin-Management. Umgekehrt müssen bereits gebuchte und festgelegte Termine in die Bestandsführung übertragen und mit dem Planungssystem synchronisiert werden.
End-to-End-Prozess für bestmögliche Verimpfung
Das Termin-Management gab es bereits vor Start der Impflogistik mit S/4HANA. Es sollte auch bestehen bleiben, da es die Patientendaten der Geimpften enthält. Sie unterliegen einem besonders hohen Schutzniveau; die Anwendung und ihre Daten befinden sich deshalb in einem gesicherten isolierten Rechenzentrum des Landes und dürfen diese Umgebung auch nicht verlassen. Bei der Impflogistik hingegen geht es um Produkte, Chargen, verarbeitete Losgrößen und damit um Prozesse mit einem niedrigeren Schutzniveau. Weil diese Daten an die Impfdokumentation zurückgegeben werden müssen, galt es im SAP-Projekt, beide Welten miteinander zu verbinden, um auf diese Weise einen End-to-End-Prozess abzubilden und das Ziel einer bestmöglichen Verimpfung erreichen zu können.
Darstellung der Impfstoffbestände in Echtzeit
Über dem Dreigestirn aus Bestandsführung, Planung und Termin-Management installierte das Projekt-Team des weiteren eine Reporting-Komponente in der SAP Analytics Cloud. Über sie lässt sich in Echtzeit beantworten, wie hoch der tagesaktuelle Verbrauch liegt, in welchen Zentren welcher Impfstoff verfügbar ist etc. Das Reporting vermittelt einen Live-Zugang ins Buchungssystem zur Darstellung der Impfstoffbestände in Echtzeit – dies war eine Forderung der Politik. Dafür richtete das Projekt-Team drei Datenansichten (Boards) ein: Übersicht von Bestand und Verbrauch nach Vials, nach Dosen sowie ein Impf-Board mit externen Daten (zum Beispiel von Hausärzten) zum aktuellen Impfstand im Land.
140 User hatte das System in den ersten Monaten, die quasi über Nacht geschult werden mussten, und dies zu Pandemiezeiten. Herrmann-Josef Haag: „Mit der SAP-basierten Impflogistik in der Cloud waren Buchungen und die Verteilung der Impfstoffe viel einfacher durchführbar, nämlich digital und nachvollziehbar. Die Zusammenarbeit zwischen Zentrallager und Impfzentren gestaltete sich äußerst effizient, denn es gab nur noch ein Stück Papier, den Lieferschein, der am Ende unterschrieben wurde.“ Nachhaltig ist das Projekt aus seiner Sicht ebenfalls, denn man benötigt nur temporäre IT-Ressourcen. Inzwischen sind die Impfzentren größtenteils geschlossen, nur noch 30 bis 40 User führen heute Buchungen im System durch. „Das Cloud-Modell ist für solche Szenarien wie gemacht“, so Haag. „Verwaltung kann schnell und effizient arbeiten, das hat man hier beispielhaft gesehen. Auch aus diesem Grund wurde aus über 100 Projekten unseres mit dem SAP-Quality-Award in der Kategorie ‚Rapid Timer to value‘ ausgezeichnet. Das gesamte Projekt-Team ist stolz auf diese Leistung!“
Bildnachweis: DSAG, Shutterstock+Anna Polywka
Autor: Frank Zscheile
blaupause-Redaktion
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