Daten als Digitalisierungstreiber

Digitale Daten

DSAG-Einordnung zu Dateninfrastrukturen

Der Digitalgipfel der Bundesregierung steht in diesem Jahr unter dem Zeichen „Daten – Gemeinsam digitale Werte schöpfen“. Dabei lenkt er unter anderem den Blick auf Dateninfrastrukturen, -plattformen, Datenräume sowie -verfügbarkeit und -nutzung. Aus Sicht der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG) sind das wichtige Themen, um die digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft aktiv und nachhaltig zu gestalten, da sie essenziell für einen starken europäischen Daten-Binnenmarkt sind.

„Für einen starken europäischen Daten-Binnenmarkt ist es notwendig, dass wir Dateninfrastrukturen aufbauen und Datenplattformen sowie Datenräume in einzelnen Sektoren vorantreiben. Gleichzeitig muss die Datenverfügbarkeit und -nutzung auch sektorübergreifend erhöht werden“, sagt Sebastian Westphal, DSAG-Technologievorstand. Dabei sei jedoch wichtig, dass die Politik keine zentralen, monolithischen Strukturen als einfache Antwort auf die dynamischen Anforderungen an Datenarchitekturen forciert. Eine solche Strategie kann mit den vielfältigen Anforderungen und der benötigen Änderungsgeschwindigkeit an die heutigen hybriden IT-Architekturen aus Sicht der DSAG nicht mithalten. „Diese monolithische Denkweise ist ein Relikt aus alten Zeiten. Hyperscaler und Software-as-a-Service-Anbieter sind hier bereits weit voraus. Zudem muss man leider sagen: Wenn es um den Aufbau zentraler Plattformen geht, wie z. B. bei der Gematik für den elektronischen Austausch im Gesundheitswesen oder Elster im Rahmen der Datenerhebung bei der Grundsteuerreform, hat sich der Staat bisher zudem nicht mit Ruhm bekleckert“, ordnet Sebastian Westphal ein.

Basisdienste für die Digitalisierung schaffen

Sebastian Westphal, DSAG-Fachvorstand Technologie
Sebastian Westphal,
DSAG-Fachvorstand Technologie

Aus Sicht der DSAG sollte der Fokus im Bereich der Öffentlichen Verwaltung vielmehr auf konkrete Angebote von Basisdiensten für die Digitalisierung der Verwaltung gerichtet werden. Beispiele dafür wären die elektronische Akte und die elektronische Beschaffung. „Es braucht insgesamt mehr Standards, Schnittstellen und Formate, die für alle Behörden auf allen Ebenen gelten – und natürlich muss die deutsche Verwaltungscloud-Strategie zügig umgesetzt werden“, so der DSAG-Technologievorstand. Gleichzeitig sei es nicht zwingend, zentrale Datenplattformen und -räume zu schaffen, da die Anforderungen der einzelnen Industrien – bspw. auch aufgrund regulatorischer Vorgaben – teilweise nur schwer zu harmonisieren sind. Es braucht vielmehr Angebote für hybride Systemarchitekturen, denn jeder Anbieter hat seine eigene Strategie, Standards und Roadmaps. So sind sich z. B. Hyperscaler und SAP noch nicht einig, wie Referenzarchitekturen inklusive Integrationsszenarien aussehen müssten.

„Wenngleich hier schon viele Anknüpfungspunkte für Aktivitäten gegeben sind, sollte die Bundesregierung zunächst bei sich selbst anfangen“, meint Sebastian Westphal. Insgesamt werden heute kolportierte 200 Fachanwendungen eigens für Behörden entwickelt, um bestimmten Verwaltungsvorgänge zu digitalisieren. Ein Standard-Set an Schnittstellen und Integrationstools wäre hilfreich, um Lösungen zeitnah um neue Technologien erweitern zu können. „Als DSAG sind wir zudem davon überzeugt, dass generell industriespezifische Plattformen wie z. B. GAIA-X oder CATENA-X erstrebenswert sind, um die immer fragiler werdenden Wertschöpfungsketten zu stabilisieren und es den Unternehmen zu ermöglichen, ihre Effizienz – bspw. Ihrer Lieferketten – zu steigern“, so der DSAG-Technologievorstand. Das Ziel sollten vernetzte Unternehmen sein, doch aktuell enden Systemarchitekturen mehrheitlich immer noch an den jeweiligen Unternehmensgrenzen.

Infrastruktur-Partnerschaften sinnvoll

Speziell im öffentlichen Bereich erscheinen aber Infrastruktur-Partnerschaften als sinnvoll. So könnten beispielsweise Schulen zentral über große Anbieter mit Breitbandverbindungen und -Endgeräten ausgestattet werden und die laufenden Kosten somit bündeln. „Aktuell ist jeder Schulträger selbst dafür verantwortlich. Begonnen bei den Schulen, könnte der Roll-out auch in anderen Bereichen der Öffentlichen Verwaltung erfolgen. Die Beschaffungskonditionen ließen sich so optimieren und die Umsetzung erheblich beschleunigen“, sagt Sebastian Westphal. Dies wäre aus DSAG-Sicht auch für Software anwendbar, die Bestandteil der IT-Strategie der Öffentlichen Verwaltung und besonders der zukünftigen Verwaltungscloud ist. Hier sollte den Behörden der direkte Bezug ermöglicht werden, um zeitraubende, europaweite Ausschreibungen zu vermeiden. „Ich führe als Beispiel immer gern den Baustoffhandel an. In diesem sehr klassischen Gewerbe haben sich nationale Einkaufsgemeinschaften gebildet, die über sehr heterogene mittelständische Unternehmensstrukturen hinweg funktionieren und für alle Beteiligten Einsparungen ermöglichen. Warum sollte das nicht auch im IT-Umfeld möglich sein“, fragt Sebastian Westphal.

Negativbeispiele nicht wiederholen

Über die zahlreichen Ideen hinaus warnt der Experte jedoch auch davor, Negativbeispiele zu wiederholen, wie:

  • Gematik: Die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH ist für die Einführung, Pflege und Weiterentwicklung der elektronischen Gesundheitskarte zuständig. „Ziel war es, eine zentrale Telematik-Infrastruktur mittels einer Plattform für digitale Anwendungen im deutschen Gesundheitswesen zu schaffen. Doch nach mehr als 15 Jahren sind wir von einer einheitlichen Dateninfrastruktur im Gesundheitswesen verglichen mit anderen europäischen Ländern noch weit entfernt“, ordnet Sebastian Westphal ein. Gleichzeitig verursache die „Farce um den zwangsweisen Router-Austausch“ in diesem Jahr 2022 anstelle von Zertifikatserneuerungen per Update Kosten im dreistelligen Millionenbereich. Vor dem Hintergrund von Lieferengpässen und dem Ziel eines optimierten Ressourcenverbrauchs im Sinne der Nachhaltigkeit zeigt sich, dass zentrale Plattformen nur dann nutzenstiftend sind, wenn sie professionell betrieben werden können – und, wenn sie mit dem Tempo der technischen Entwicklung Schritt halten.
  • SEPA: Der einheitliche Euro-Zahlungsverkehrsraum (Single Euro Payment Area) sollte – wie es der Name schon sagt –, die Zahlungsformate im innereuropäischen, elektronischen Zahlungsverkehr vereinheitlichen. Doch aus DSAG-Sicht hat Europa gegenüber Asien den Trend zu digitalen Zahlungsmitteln komplett verschlafen, da es den europäischen, bankengestützten Zahlungsverkehr mit SEPA nurmehr zementiert hat. „Die Idee zentraler Standards und Strukturen ist nur dann sinnvoll, wenn aufstrebende Technologien mit vergleichbaren Konzepten bedient werden und die Regulierungsbehörden nah an den technologischen Entwicklungen operieren. Sie müssen Rahmen schaffen, um neue Plattformen frühzeitig zu etablieren“, so Sebastian Westphal. Aus technischer Sicht war und ist die SEPA-Einführung zudem nur ein bedingt gelungenes Beispiel einer einheitlichen Datennutzung und vor allem eines einheitlichen Datenformats. „Wer einmal das Vergnügen hatte, europaweit Banken an ERP-Systeme anzubinden, dem ist bewusst, dass jedes Land und nahezu jede Bankengruppe eigene ‚SEPA-Dialekte‘ unter dem gegebenen Rahmen entwickelt hat“, weiß der DSAG-Experte. Somit sind ein einheitliches, europaweites XML-Format und daraus resultierende einheitliche technische Integration noch immer nicht realisiert.

Fehlende Standards

Bezogen auf die Themen Datenverfügbarkeit und -nutzung fehlt es darüber hinaus in kritischen Bereichen wie z. B. der Security an Standards. Eine staatlich getriebene Mindestanforderung an Software-Anbieter wäre hier eventuell hilfreich, um übergreifende Standards zu etablieren, die von Unternehmen schnell zu adaptieren sind, bzw. über verschiedene Software-Lösungen hinweg gelten. Die Realität in den Unternehmen zeigt noch immer komplexe, stark verbaute On-Premise-Architekturen mit hoher Fertigungstiefe. Die neuen (Cloud-)Produkte sind jedoch noch nicht weit genug entwickelt, und bieten bisher teilweise nur eingeschränkten Funktionsumfang. Der One-size-fits-all-Ansatz funktioniert also nur bedingt“, so Sebastian Westphal. Aus Unternehmenssicht bräuchte es somit Serviceangebote der Software-Hersteller, um Migrationen zu unterstützen. Doch die Kunden sind oft auf sich allein gestellt. Die Hersteller müssten viel mehr anbieten, um die Umstellung auf neue Integrationstechnologien, Plattformen und die aktuellen Software-Generationen zu vereinfachen. „Das müsste zu kalkulierbaren Kosten und mit automatisierten Migrationsservices erfolgen. Hier sind die Anbieter gefragt – die Bundesregierung kann hier aufgrund der Individualität der Migrationsszenarien nur bedingt helfen“, ordnet Sebastian Westphal ein.

Flächendeckender Netzwerkausbau

Dennoch gibt es auch auf Ebene der Politik signifikante Stellschrauben. So wäre es nunmehr dringender denn je geboten, den flächendeckenden Ausbau hochverfügbaren, schnellen Internets zu realisieren, um Unternehmen und Mitarbeitende überall an die digitale Wirtschaft anzubinden. „Das ist schlichtweg die Voraussetzung, um moderne Cloud-Lösungen zu nutzen und Anwendungen von Rechenzentren zu Hyperscalern oder klassischen Hosting-Partnern zu verlagern. Es wäre die Prämisse, um überhaupt über Konzepte zur modernen Datenverfügbarkeit und -nutzung nachzudenken“, so Sebastian Westphal. Die Bundesrepublik gehört laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) international seit Jahrzehnten zu den Schlusslichtern beim schnellen Internet. Und dass es z. B. heutzutage noch immer nicht möglich ist, auf Zugfahrten freies WiFi mit hohen Bandbreiten auf allen Strecken der Deutschen Bahn zu nutzen, ist tragisch. „Hier ist natürlich nicht nur die Bundesregierung gefragt, sondern auch die Deutsche Bahn hinsichtlich einer entsprechenden IT-Strategie einzubeziehen. Doch auch hier stellt sich die Frage: Warum gibt es kein koordiniertes Vorgehen unter allen staatlichen Einheiten, um eine Flächenabdeckung zu ermöglichen“, fragt Sebastian Westphal. Stattdessen werden aktuell die Funktürme der großen Telekommunikationsunternehmen an renditeorientierte Finanzinvestoren verkauft, was – kritisch betrachtet – nicht unbedingt dem ordnungspolitischen Digitalisierungsziel zu dienen scheint.

Standardisierung und Harmonisierung wünschenswert

Das Fazit der DSAG nach dem Blick auf Dateninfrastrukturen, -plattformen, Datenräume sowie -verfügbarkeit und -nutzung in Deutschland fällt dementsprechend nüchtern aus: Um die digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft aktiv und nachhaltig zu gestalten, ist vor dem Ziel eines starken europäischen Daten-Binnenmarktes zunächst der Aufbau der entsprechenden, europaweiten und flächendeckenden Infrastruktur vorrangige Aufgabe der staatlichen Gremien. Gleichzeitig ist es notwendig, die Systeme der Öffentlichen Verwaltung konsequent zu digitalisieren und zu harmonisieren. Europaweite Integrationsstandards hinsichtlich Datenformaten und -technologien sind hierbei ebenso wie zentrale Datenräume für Industrien erstrebenswert. Initiativen, wie z. B. die Industry-Councils unter GAIA-X sind hier erste prominente und sinnvolle Plattformen, die auch die heutigen heterogenen Systemarchitekturen und das breite Software-Anbieterspektrum hinreichend reflektieren.