„Dort gibt es keinen Unterschied!“ 

Tina Tichy hat Kinder und Karriere erfolgreich mit Unterstützung von Familie, Freunden und noch mehr Eigen­initiative jongliert, gut bezahlte Jobpositionen musste sie sich allerdings wieder zurückerobern. Als SAP-Expertin hat sie seit Ende der 90er Jahre unterschiedliche Karrierestationen besetzt und bedauert bis heute vor allem eines: Dass sich Frauen oft unter Wert verkaufen, während Männer leichter einfordern, was ihnen zusteht. Wir haben nachgefragt, und sie hat geantwortet. 

Frau Tichy, wo kommen Sie her? Wie haben Sie Ihre Kindheit erlebt?

Tina Tichy: Ich stamme aus einer Familie, in der es kaum Unterschiede zwischen Mann und Frau gab. Weder bei der Erziehung noch bei der Aufgabenteilung oder unseren Pflichten. Ich hatte beruflich selbstständig tätige Eltern und zwei ältere Brüder, aber: Bei uns hat mein Vater aktiv den Haushalt mitgeführt. Ein Mann, der auch den Besen in die Hand nimmt, war für mich einfach ganz normaler Alltag. Aber nachdem ich zu Hause ausgezogen war, musste ich schnell erkennen, dass die „Halbe-Halbe“-Welt durchaus anders tickte.

Wie lief Ihre Ausbildung ab, Ihr Studium und Ihr Einstieg in den Job?

Nach der wirtschaftlichen Oberschule – einer reinen Mädchenschule übrigens – habe ich BWL studiert und als Assistentin der Geschäftsführung bei einem Eloxier-Unternehmen meine berufliche Laufbahn gestartet. Parallel zu meinem Job war ich Vortragende bei einem Business-Controller-Lehrgang, wo ich 1997 auf den SAP-Zug aufgesprungen bin. Denn spätestens zu diesem Zeitpunkt war mir klar: Alle großen Unternehmen stellen auf SAP um. Glücklicherweise hat mich damals ein ehemaliger Studienkollege in die SAP-Beratung geholt, wo wir Frauen ganz eindeutig noch in der Minderzahl waren.

Mit welchem IT-Hintergrund, mit welchem Fachwissen starteten Sie damals?

Mit keinem, ehrlich gesagt. Ich habe vier Wochen lang Programmieren gelernt und war dann nach dieser Einführung 1998 gleich bei meinem ersten Kundentermin, um SAP-Zusatzentwicklungen im Rechnungswesen zu programmieren. Heute ist es mir ein Rätsel, wie ich es geschafft habe, dieses Projekt erfolgreich zu Ende zu bringen. Und zwar so, dass wir sofort einen Nachfolgeauftrag erhielten. Aber damals wie heute kennzeichnen mich zwei Eigenschaften: Lösungs- und Kundenorientierung. Wenn ich mir etwas vornehme, schaue ich auf das Endergebnis, und dann lege ich los, und das am besten gleich.

Nach sechs Jahren Teilzeitpause bin ich mit 40 Prozent weniger Gehalt als vergleichbare Beraterkolleginnen und -kollegen, die mit mir gestartet sind, eingestellt worden. Und ich habe neun Jahre gebraucht, bis ich das wieder aufgeholt hatte!

Tina Tichy

Business-Coach/Solutions-Architect/Interims-Managerin/Projektleiterin/Beraterin

Sie haben drei Kinder bekommen. Wie konnten Sie Job und Familie stemmen?

Zunächst habe ich ganz klassisch mit allen drei Kindern Teilzeit gearbeitet. Und ziemlich schnell habe ich bemerkt, dass einiges fehlt bzw. anders ist in Teilzeit. Als Teilzeitkraft – so habe ich das zu Beginn der 2000er-Jahre jedenfalls erlebt – bekommt man keine wirklich wichtigen Projekte, kein neues Notebook, kein tolles Handy. Ich bin gerne Mutter, doch damals musste ich feststellen, dass meine Ausbildung doch genauso wertvoll war wie die meiner Kolleginnen und Kollegen! Diese Situation hat mich inspiriert und meine Familie mich motiviert, wieder voll in meinen Beruf einzusteigen.

Anzahl der Teilzeitbeschäftigung an der Gesamtbeschäftigung

Wie war der Weg zurück in den Vollzeitjob?

Ganz ehrlich, zwischendurch sehr anstrengend, mit vielen Hürden, die es zu überwinden gab. Im Bewerbungsgespräch für einen vollen Wiedereinstieg fragte mich 2007 der Geschäftsführer nach möglicherweise erhöhtem Krankenstand, Pflegeurlaub und Verfügbarkeit von Kinderbetreuung bei bevorstehenden Dienstreisen. Das hat mich damals erschüttert. Ich war auf Fragen, die meine private Lebenssituation betreffen, einfach nicht vorbereitet. Den Job im SAP-Bereich habe ich am Ende bekommen, und er hat mir sehr viel Spaß gemacht. Zu Beginn wusste ich nicht, ob ich die Vollzeitstelle schaffen würde. Ich versuchte es einfach, und mit Unterstützung von Familie und Au-pair war es machbar.

Wenn Sie auf diesen Zeitraum zurückblicken: Was stellen Sie fest?

Möglicherweise habe ich bei meinen Kindern etwas verpasst, ich war manchmal beim Kindergartenfest oder beim Schullauf nicht dabei. Dafür hatte aber mein Mann diese Möglichkeit. Ich war gleichzeitig in führenden Leitungspositionen, u. a. divisionale Solution-Architektin in einem weltweit tätigen Konzern oder eine von 220 Business-Unit-Managern in einem internationalen Konzern, und 2015 die einzige Frau. Auch interessant: Nach sechs Jahren Teilzeitpause bin ich mit 40 Prozent weniger Gehalt als vergleichbare Beraterkolleginnen und -kollegen, die mit mir gestartet sind, eingestellt worden. Und ich habe neun Jahre gebraucht, bis ich das wieder aufgeholt hatte!

Was zeichnet Ihr Verhalten im Beruf anderen Frauen gegenüber aus? Und wie erleben Sie Kolleginnen im Vergleich zu ihren männlichen Pendants?

Als Frau habe ich gerne geeignete Frauen eingestellt, sofern sich welche beworben haben. Auch gerne Mütter, da ich darauf vertraut habe, dass sie Arbeit und Privatleben gut meistern können. Aber immer wieder stelle ich fest, dass Frauen, obwohl sie sehr qualifiziert sind, oft denken, nicht gut genug zu sein und immer wieder zu wenig Geld fordern. Bei Männern ist mehrheitlich alles immer toll und eine angemessene Bezahlung wird erwartet.

Welche Eigenschaften haben Ihnen auf Ihrem Weg am meisten geholfen?

Ich sehe immer das große Ganze. Ich bleibe immer dran. Und mir erscheint immer alles möglich. Aber: Hier habe ich gelernt, dass ich meine Haltung nicht auf meine Mitarbeitenden projizieren kann – jede(r) hat ihren oder seinen Takt. Mit meiner Berufserfahrung wurde mir im Laufe der Zeit immer klarer: Mr. Pareto hatte recht. 80 Prozent reichen für den Umsetzungsstart. Was mich meine drei Kinder in ihren ersten Lebensjahren gelehrt haben: Als Mensch erreichen wir von Natur aus nicht 100 Prozent. Doch von jedem Computer, jeder Maschine/Software wie SAP wird es erwartet.

Ein Tipp für den Arbeitsalltag?

Das Wichtigste, das ich je auf einem Führungskräfteseminar gelernt hatte, war Folgendes: Wir Führungskräfte haben nun Positionen, in denen die Aufgaben, die wir tagtäglich zu erledigen haben, einfach nicht mehr erledigbar sind – in der IT ist das ganz normal. Uns wurde empfohlen, jeden Tag in der Früh drei Dinge auf einen To-Do-Zettel zu schreiben und diese bis zum Abend zu erledigen und abzuhaken. Diese drei erledigten Aufgaben am Tagesende geben ein wahnsinnig gutes Gefühl!

Was konkret ist Ihr Beitrag für mehr Gleichstellung und Gleichberechtigung?

Wie bereits erwähnt, stelle ich gerne Frauen ein, wo machbar und sinnvoll. Und ich fördere, wo ich kann. Wie z. B. eine 50-jährige Bewerberin, die nach langen Jahren zuhause wieder voll beruflich einsteigen wollte und in ihrem vorherigen Umfeld nichts Adäquates fand. Ich stellte sie als SAP-Trainee ein, ein kompletter Neustart für sie. Für mich sind solche Quereinsteigerinnen oft Rohdiamanten und großartige Kolleginnen, die dem Unternehmen einen unglaublichen Wert zurückgeben können. Besagte 50-Jährige ist meiner Meinung nach heute eine der besten SAP-Vertriebsmanagerinnen am österreichischen Markt.

Was braucht es, um mehr Frauen jeden Alters für Jobs in der Tech-Branche und für Management-Posten zu begeistern?

Ich denke, Unternehmen im Allgemeinen und das Management im Speziellen müssen erkennen, dass Frauen ihr Können und ihr Talent leider zu oft zu geringschätzen. Es braucht konkrete Förderung, die alle Frauen ermutigt, mit dabei zu sein, wenn Unternehmen bzw. Prozesse gestaltet werden. Junge Frauen benötigen immer noch und dringend starke Vorbilder erfolgreicher Frauen im MINT-Bereich, damit eine solche Karriere auch für sie selbstverständlich erscheint. Women@DSAG ist ein tolles Beispiel für ein Netzwerk, das Frauen ermutigt, ihre Interessen und Karrieren in der IT-Branche zu verfolgen und gleichzeitig auch Diversität sicherzustellen.

Sie gehören nun zum Kern-Team bei Women­­@DSAG. Ihre Pläne, Wünsche, Forderungen?

Gemeinsam mit den Women@DSAG will ich uns Frauen sichtbarer machen, uns besser vernetzen, insbesondere in Österreich. Mein Ziel ist es, Frauen in der DSAG, im SAP- sowie im IT-Umfeld weiter zu stärken sowie Erfahrungen professionell auszutauschen. Ich will dabei helfen, neue Fähigkeiten auf- und auszubauen und bei der persönlichen Weiter- und Kompetenzentwicklung unterstützen. Ich möchte Frauen fördern, mehr zu ihren Fähig- und Fertigkeiten zu stehen, sodass sie diese besser verkaufen und endlich mehr Frauen aktiv in allen zu besetzenden Funktionen vertreten und sichtbar sind.

Mit Ihrem heutigen Wissen: Was würden Sie rückblickend anders machen?

Nicht viel. Mit mehr Selbstverständnis wieder Vollzeit arbeiten und dafür jede erdenkliche Ressource ohne schlechtes Gewissen nutzen, die mir das leichter macht. Ich bin meinen Mentorinnen und Mentoren heute noch dankbar, dass sie mich und meine Arbeit erkannt und mich gefördert haben. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Women@DSAG

Ziel der Initiative Women@DSAG, der inzwischen knapp 1.200 weibliche DSAG-Mitglieder angehören, ist es, Frauen in der DSAG sichtbar zu machen, zu fördern und zu vernetzen. Women@DSAG dient als Plattform, um berufliche Kontakte zu knüpfen sowie Erfahrungen und Expertise auszutauschen, indem sie die Frauen in der DSAG vernetzt, den Austausch zu den Herausforderungen im Beruf ermöglicht und das Thema Chancengleichheit im Arbeitsalltag beleuchtet.

Bildnachweis: Fotostudio Floyd Wien, Anna Polywka

Autorin

Autorin: Sarah Meixner
blaupause-Redaktion
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