SAP über Industry-Solutions

„SAP wird weiterhin alle Branchen abdecken“

blaupause: SAP über Industry-Solutions

Die Digitalisierung und grundlegende Änderungen an Geschäftsprozessen sorgen dafür, dass in fast allen Branchen neue Lösungen und Lösungsansätze gefragt sind. Aus SAP-Sicht macht daher der historische Ansatz, den alten ERP-Kern umzubauen, keinen Sinn. Wie die SAP-Strategie für die Branchen aussieht und welche Rolle neue, modulare Speziallösungen sowie die Industry Cloud als Plattform für industrierelevante Innovationen von SAP und Partnern spielen, erläutert Sven Denecken, SVP & CMSO SAP Industries & CX bei der SAP SE.

Das Gespräch führte Julia Theis, blaupause-Redaktion

SAP bietet für 25 Branchen Industry-Solutions. Wie sieht die Roadmap für diese Branchenlösungen aus?

Sven Denecken: Branchenlösungen sind integraler Bestandteil unseres Angebots, weil sie unsere Kernlösungen um branchenspezifi­sche Funktionalitäten ergänzen. Branchenspezifische Funktionalitäten sind aber auch im Cloud-Enterprise-Resource-Planning (ERP) und in den anderen Produkten zu finden. Sie wurden in den vergangenen Jahren konsequent um diese Funktionalitäten erweitert. Daneben bieten viele Partner branchenspezifische Lösungen in der Industry Cloud an – dies ist ein wesentlicher Teil unserer Branchenstrategie. Die Roadmaps für jede Branche, einschließlich der Partner-Industry-Cloud-Lösungen, liefert der SAP Roadmap Explorer.

Welche Rolle spielt RISE with SAP für die Branchen?

Denecken: Es gibt für jede Branche ein maßgeschneidertes RISE-with-SAP-Angebot, das sich durch Partnerlösungen erweitern lässt. Mit GROW with SAP haben wir ein neues gebündeltes Angebot, das auf mittelständische Kunden und Niederlassungen größerer Kunden zugeschnitten ist, die Cloud-ERP bisher nicht in Betracht gezogen haben. SAP wird mit seinen Partnern neue innovative Lösungsangebote in verschiedenen Branchen entwickeln. Diese Funktionalitäten können als Industry-Cloud-Solutions genutzt werden, ergänzend zum Cloud-ERP oder den SAP-Lösungsangeboten.

Sven Denecken

Sven Denecken ist SVP & Chief Marketing and Solutions Officer for SAP Industries & CX bei der SAP SE. Mit seinem Team verantwortet er Product-Marketing und Solution-Management für SAPs Industry- & CX-Lösungen.

Wie reagieren Markt und Anwenderunternehmen auf die SAP-Strategie für die verschiedenen Branchen?

Denecken: Die globale Resonanz auf die Industry-Cloud-Strategie ist sehr positiv. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber neben dem breiten Angebot von Partner- und SAP-Branchenlösungen ist die moderne Architektur und Flexibilität entscheidend. SAP hat mit der Definition der Industry Cloud einen branchenweiten Standard gesetzt.

Der Investitionsreport 2023 hat nach der Zufriedenheit mit der SAP-Branchenstrategie gefragt. Mehr als ein Drittel ist unzufrieden bzw. sehr unzufrieden mit der SAP-Strategie für ihre Branche. Besonders kritisch sahen die Branchen Gesundheitswesen, Metall-, Holz- und Papierindustrie sowie die Chemieindustrie die SAP-Strategie. Welche Antwort haben Sie hierauf?

Denecken: Ich hoffe, dass wir Verbesserungen im Sinne der Kunden gemeinsam mit der DSAG erreichen können. Es gibt einige Lösungsinnovationen, die z. B. für die Papierbranche relevant sind. Hier haben wir mit SAP S/4HANA Production Planning Optimization (PP/DS PPO) einen Lösungsansatz, der einen Versorgungsplan für Produktionsnetzwerke erstellen kann. Wir haben für diese Industrie das SAP S/4 ePP/DS als Go-to-Lösung für SAP Advanced Planning and Optimization (APO) mit einer einfacheren Architektur und einem für diese Industrie wichtigen Funktionsumfang. Für Kunden aus dieser Industrie sind auch die Supply Based Confirmation neu, die Capable-to-promise-Szenarien abdecken. Etliche dieser neuen Funktionen wurden in den letzten Releases komplettiert. Sie sind für viele Kunden gegebenenfalls unter dem neuen Namen noch gar nicht bekannt. Hier sehe ich es als unsere Aufgabe, in den Dialog zu treten, was wir gerne gemeinsam mit der DSAG tun.

Welche neuen, modularen Speziallösungen bietet die Industry Cloud als Plattform für industrierelevante Innovationen von SAP und Partnern für die genannten Industrien?

Denecken: Sie bietet viele neue Möglichkeiten, z. B. für das Stammdaten-Management, für die Instandhaltung, für dynamische Preisfindung im Vertrieb oder für die Einbindung von visueller Künstlicher Intelligenz (KI) oder Augmented Reality in der Fertigung. Hier ist ein Portfolio flexibler industriespezifischer Funktionalitäten auf der SAP Business Technology Platform (BTP) entstanden, das wir in der Vergangenheit eher in einer Industrielösung fest verbaut hätten. Unser Fokus liegt heute mehr auf der Abdeckung in einer modernen Cloud-Architektur über die BTP. Bestimmte Spezialanwendungen, z. B. für die Kabelindustrie, wurden umfänglich in S/4HANA neu entwickelt, sie stehen aber mit manchen Funktionen noch auf der Roadmap.

In der Healthcare-Branche hat sich SAP entschieden, keine eigene Nachfolgelösung für das SAP Patientenmanagement (IS-H) anzubieten. Ein ähnliches Bild ergab sich bei Fioneer. Aus DSAG-Sicht eine Art Rückzug aus den Branchen. Wie sieht das SAP?

Denecken: SAP Patientenmanagement ist mittlerweile über 25 Jahre alt, und seit seiner Einführung hat sich viel verändert. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen schreitet weiter voran. Prozesse, Anforderungen, Angebote und Präferenzen in den Bereichen Klinischer Informationssysteme (KIS), Patientenverwaltung und -abrechnung sowie Support werden immer vielfältiger und lokal spezifischer. Der globale Markt ist hochgradig fragmentiert, sowohl angebots- als auch abnehmerseitig, streng reguliert und zunehmend im Fokus von Medizinprodukt-Direktiven. Eine Lösung von einem einzigen Anbieter für und in allen Regionen ist unrealistisch und für Krankenhäuser weder zielführend noch zeitgemäß. Modularen Systemen in Übereinstimmung mit den lokalen Regularien und Anforderungen, aber dennoch möglichst standardisiert und innovationsfähig, wird und sollte die Zukunft gehören. SAP Fioneer erneuert Bestandteile des Portfolios in den abgestimmten Branchen, zusätzlich und weiterhin bietet SAP hier auch die Basis und ergänzendes Portfolio – dies ist kein Rückzug, sondern sogar mehr Investition.

Wie sieht die Healthcare-Strategie konkret aus?

Denecken: Das Feedback unserer Kunden, die sich insbesondere in DACH auch Lösungen für alle Deployment-Formen wünschen, hat SAP in der aktualisierten Healthcare-Strategie umfassend berücksichtigt. Wir wollen zusammen mit unserem starken Partner-Ecosystem weltweit schneller vielfältigere, individuelle und umfassende Lösungen anbieten. Deshalb fokussieren wir uns auf unsere Kernkompetenz und damit auf die betriebswirtschaftlichen und geschäftsplattform-spezifischen Elemente von modularen Krankenhaussystemen, also S/4HANA, BTP inklusive der geplanten Health-Data-Services, die die FHIR-Schnittstelle nutzen werden. Ergänzt wird das durch SAP Datasphere als offene Industrieplattform für Partner und Kunden und um unsere Line-of-Business (LoB)-Angebote. SAP gibt also keinesfalls das Gesundheitswesen auf. Im Gegenteil: Wir investieren, damit es für unsere Kunden einfach möglich sein wird, sich ihr eigenes modulares Krankenhaussystem der Zukunft flexibel und ihren lokalen und gesetzlichen Anforderungen folgend zusammenzustellen und auf Veränderungen schneller reagieren zu können.

Was erwartet die Kunden im Bereich Life-Sciences?

Denecken: Im Gegensatz zum eher lokal spezifischen Gesundheitswesen besteht in Life-Sciences ein hoher Bedarf an global anwendbaren Standardprozessen, welche international agierende Unternehmen in vielen Regionen grenzübergreifend umsetzen können. Hier arbeiten wir mit mehreren Co-Innovationskunden gemeinsam an den Industriestandards von morgen, dies ist schon immer ein Kernbestandteil der Industry-Cloud-Strategie. Wir liefern Ankerlösungen in vier Bereichen: Lieferketten-Management in klinischen Studien, Produktionslieferketten-Management, Chargenfreigabe sowie Zell- und Gentherapie-Orchestrierung. Bei der Entwicklung dieser Kernlösungen arbeiten wir eng mit Software- und Service-Partnern zusammen und, was noch wichtiger ist, mit Konsortien von Kunden, deren Bedürfnisse, Erkenntnisse und Best Practices in diese neuen SAP-Produkte eingebettet werden, um diese als Industriestandard zu etablieren. In fast allen Branchen gibt es durch die Digitalisierung aber auch so grundlegende Änderungen an Geschäftsprozessen, dass neue Lösungen und Lösungsansätze gefragt sind – da besteht keine Chance, diese mit dem historischen Ansatz im alten ERP einzubauen. Hier sehen wir gerade unsere Industry-Cloud-Lösungen im Agrarbereich, z. B. SAP Intelligent Agriculture, als Bindeglied zwischen Kernprozessen im Cloud-ERP und den Bedarfen unserer Agrarkunden, den Kollaborations- und Interaktionskanälen zu Landwirten als Kunden und Geschäftspartnern. Durch Modularisierung und offene Cloud-Schnittstellen in der Industry Cloud entsteht dabei erheblich mehr Flexibilität.

Wo sind Rückzüge in der nächsten Zeit geplant?

Denecken: SAP wird weiterhin alle Branchen abdecken und seine eigenen Lösungen sowie die seiner Partner branchenspezifisch anbieten. Nach wie vor gibt es keine SAP-exklusiven Branchen, sondern wir bleiben unserem Grundsatz treu, mit einem starken und verlässlichen Partner-Ecosystem in allen Branchen Innovation zu liefern.

Was sollten Anwenderunternehmen zu den Planungen hinsichtlich der SAP-Branchenlösungen noch wissen?

Denecken: Wir gehen an den Markt mit Lösungen in allen Industrien, und das wird weiterhin so bleiben. Wir investieren in allen Industrien, zusammen mit Partnern. Das bedeutet, um eine größere Bandbreite bedienen zu können, stärken wir unser Ecosystem, damit wir den Kunden genau das bieten können, was sie in ihrer Industrie brauchen. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Länderspezifikationen. Damit wir diese speziellen Anforderungen bedienen können, investieren wir zusammen mit Partnern, weil sie in diesen Ländern die lokalen Anforderungen am besten erfüllen können. Die Märkte haben sich dramatisch verändert. Deshalb möchten wir Unternehmen ermuntern, ihre seit vielen Jahrzehnten existierenden Eigenentwicklungen kritisch zu hinterfragen, die neuen Best-in-Class-Prozesse der aktuellen SAP-Lösungen für sich zu untersuchen und unmittelbar zu nutzen sowie die noch notwendigen Eigenentwicklungen in die BTP zu überführen. So können Unternehmen ihre eigene digitale Transformation nachhaltig umsetzen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Bildnachweis: SAP, Shutterstock

Autorin: Julia Theis
blaupause-Redaktion
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