Business Technology Platform (BTP)

Künftige Schaltzentrale der Unternehmens-IT?

Künftige Schaltzentrale der Unternehmens-IT?

SAPs aktuelle Geschäfts- beziehungsweise Produktstrategie kennt zwei Fokuspunkte: die Public Cloud Edition von SAP S/4HANA und die SAP Business Technology Platform (BTP). Langfristig dürfte die BTP das strategisch wichtigere Standbein für SAP werden – falls die Kunden den Weg des Plattform-zentrierten Ansatzes mitgehen. Daher lohnt sich ein genauerer Blick auf Hintergründe, Umfang und Potenziale der BTP.

Zurzeit erleben wir so etwas wie eine „Sonderkonjunktur“ im Markt für SAP-bezogene Services, getrieben vor allem durch viele S/4HANA-Migrationsprojekte. Als europäisches Marktforschungshaus analysiert PAC schon seit vielen Jahren unter anderem das Geschäft mit Beratungs-, Integrations- und Betriebsdiensten rund um große Business-Applikationsplattformen wie etwa die von SAP, Oracle, Microsoft und Salesforce, so dass wir einen sehr guten Einblick in Marktveränderungen und -trends haben. Erstmals seit vielen Jahren konnten wir ein interessantes Phänomen beobachten: In vielen neuen, dynamischen IT-Services-Märkten, etwa für Salesforce- und Hyperscaler-bezogene IT-Dienstleistungen, sehen wir aktuell eine deutliche Verlangsamung des Wachstums, während wir im relativ reifen Markt für SAP-bezogene Services eine deutliche Beschleunigung registrieren.

Arbeitsgruppe BTP Development & Operations

Die Arbeitsgruppe BTP Development & Operations befasst sich mit jeglichen Themen rund um die BTP und richtet sich an Entwickler:innen, Architekt:innen, technische Projektmanager:innen und an das BTP-Operations-Team. Im Fokus des Gremiums steht der Austausch zu Betriebs-, Erweiterungs- und Entwicklungsfragen in hybriden Systemlandschaften.

SAPs gegenwärtiger Erfolg mit S/4HANA ist endlich

Der steigende Bedarf an Consulting und Integrationsleistungen rund um SAPs Flaggschiff-Produkt S/4HANA wird – wenig überraschend – durch SAPs Ankündigung getrieben, die Standardwartung für Enterprise-Resource-Planning (ERP)-Altprodukte ab dem Jahr 2027 einzustellen. Daneben gibt es weitere bedeutende Beweggründe, die für eine Migration sprechen. Das zumindest belegt eine Erhebung von PAC im Rahmen einer Online-Umfrage unter 550 SAP-Entscheider:innen in Europa im April/Mai 2023. Wir haben die Teilnehmenden nach dem Auslöser für ihre Entscheidung gefragt, auf S/4HANA zu migrieren. Knapp die Hälfte der Befragten gab an, dass die alte ERP-Landschaft den heutigen Anforderungen an Flexibilität und Agilität nicht mehr genüge (siehe Grafik Seite 24).

Wir erwarten, dass die derzeitige S/4HANA-Sonderkonjunktur einige weitere Jahre anhalten wird, denn der Großteil der Migrationsprojekte steht noch bevor. Laut der besagten Umfrage haben europaweit etwa zwei Drittel der Unternehmen mit SAP-Systemen die Migration noch nicht vorgenommen. Doch das Ersetzen alter ERP-Applikationen durch S/4HANA kann weder für SAP noch für deren Kunden das abschließende Ziel sein, zumal die neue ERP-Umgebung gegenüber den Altapplikationen kaum funktionale Verbesserungen verspricht. Was kommt also danach?

Legacy-Anwendungen sind der Hauptgrund für den Umstieg auf S/4HANA

Die strategische Rolle der BTP

Aus Sicht von SAP ist die Antwort recht eindeutig: Sie rückt schon seit einiger Zeit die BTP zunehmend ins Zentrum der Aufmerksamkeit, der Marketing-Kampagnen und der Geschäftsstrategie. Mit ihr will sich SAP wieder ihren Platz im Zentrum der Unternehmens-IT sichern – eine Rolle, die frühere ERP-Monolithen ausfüllen konnten und ausgefüllt haben. S/4HANA hingegen wird beziehungsweise kann diese Rolle nicht ausfüllen, weil aktuelle IT-Architekturen durch den vermehrten Einsatz von Cloud-Anwendungen zur funktionalen Ergänzung der bestehenden Software-Landschaft deutlich heterogener sind als zur Blütezeit von SAP R/3.

Vielmehr soll die BTP der Dreh- und Angelpunkt in der Unternehmens-IT sein und die zentrale Plattform für die digitale Transformation in Unternehmen sowie Basis für Innovationen werden. So zumindest lautet der Anspruch von SAP selbst an die BTP, formuliert in einer Diskussion mit PAC zum Thema. Die von Unternehmen angestrebte Transformation müsse einem holistischen Ansatz folgen, bei dem sich die Veränderungen nicht auf die Rechnungs- und Controlling-Prozesse beschränken. Stattdessen solle eine Umgebung auf Basis der BTP entstehen, in der sich Innovationen schnell, also innerhalb von Tagen oder Wochen, zum Nutzen des Geschäfts einführen lassen und in der sich das Potenzial von Daten besser ausschöpfen lässt.

Was ist die Business Technology Platform (BTP)?

Die BTP ist aus der SAP Cloud Platform (SCP) hervorgegangen und integriert deren Integrations- und Entwicklungsfunktionen via SAP Integration Suite und SAP Extension Suite. Sie geht aber hinsichtlich der funktionalen und strategischen Bedeutung über die SCP hinaus, denn sie bietet einen besseren Zugang zu innovativen Technologien und einheitlichen Datenmodellen. Und sie ebnet vor allem den Weg zu einer offenen, Cloud-basierenden Integration von Non-SAP-Lösungen. Symptomatisch für den erweiterten Scope ist die Integration der offenen Laufzeitumgebung Cloud Foundry in die BTP. Dies schafft bessere Voraussetzungen für den Betrieb und die Erweiterung von Applikationslandschaften in Public-Cloud-Umgebungen. Cloud Foundry ersetzt die proprietäre Laufzeitumgebung Neo, die im Übrigen für 2028 abgekündigt wurde.

Der BTP-Ansatz ist keinesfalls innovativ, er kommt sogar etwas spät, denn die Plattformdiskussion wird in der IT-Branche schon seit Jahren geführt. Aber man sollte die Marktmacht von SAP und die Loyalität der SAP-Kunden nicht unterschätzen.

Joachim Hackmann

Principal Analyst, Head of BAS Cluster bei Pierre Audoin Consultants PAC GmbH

Die Architektur der BTP

Auch der Aufbau der BTP in drei Ebenen spiegelt die Offenheit gegenüber Cloud-basierenden Deployment-Modellen wider:

  • Die unterste Architekturebene, Foundation Plane genannt, bietet die erforderlichen Funktionen für einen Multi-Cloud-Betrieb und für Cloud-native Entwicklungsvorhaben. Neben diversen Security- und Identifikationsmechanismen ist hier vor allem noch das SAP One Domain Model erwähnenswert, denn es bildet unter anderem die Basis für die nahtlose Integration der SAP-Applikationen.
  • Unter anderem basierend auf dem One Domain Model bietet die Data Plane eine semantische und konsistente Grundlage für die datenbasierenden Services der BTP.
  • Schließlich stellt die Application Plane die Schnittstellen für Anwender:innen und Entwickler:innen bereit.

Bezogen auf die integrierten Services unterteilt SAP die BTP in vier Funktionsblöcke:

  • Database und Data-Management: Hier finden Kunden die unterstützten Datenbanken (SAP HANA, SQL etc.) sowie zahl­reiche Services für das Daten-Management (etwa SAP Master Data Governance).
  • Analytics umfasst Lösungen für Business-Intelligence (BI) und Enterprise-Planning (etwa die SAP Analytics Cloud (SAC)) sowie für das Data-Warehousing.
  • Application-Development and -Integration basiert unter anderem auf Funktionen der SCP, geht hinsichtlich der Offenheit gegenüber Public-Cloud-Unterstützung aber darüber hinaus.
  • Intelligent Technologies: In diesem BTP-Segment sind Dienste für Prozessautomatisierung wie Intelligent Robotic Process Automation und SAP Conversational AI subsumiert. Hier will SAP richtungsweisende Technologien bündeln, doch den hohen Anspruch an Innovationen kann SAP aktuell nur bedingt erfüllen.

Mit diesem Spektrum an Funktionen und Services bietet die BTP alle Ingredienzen dafür, das Fundament künftiger hybrider Applikationsarchitekturen zu bilden. Sie bildet auch das Fundament für SAPs Vision eines Intelligence-Enterprise, das losgelöst von einzelnen Software-Produkten innovative, agile, flexible und durchgängige Geschäftsprozesse realisieren kann.

Wie ist die Akzeptanz unter Anwenderunternehmen?

Bislang verfängt diese Botschaft augenscheinlich noch nicht bei den Anwenderunternehmen. Das legen zumindest die Ergebnisse von PACs oben erwähnter Erhebung nahe. Demnach nutzen aktuell nur 24 Prozent der befragten Unternehmen/Organisationen die BTP (siehe Grafik Seite 26). Bedenklich aus SAP-Sicht ist zudem, dass von den Befragten, die die BTP derzeit nicht nutzen, nur 13 Prozent den Einsatz der Plattform in den kommenden zwei Jahren planen. SAP selbst scheint indes zufrieden mit dem bisherigen Erfolg der BTP: Nach Aussage von Jürgen Müller, Chief Technology Officer SAP, auf der TechEd Anfang November 2023 in Bangalore nutzen aktuell 22.000 Kunden die BTP.

Die Umfrage von PAC liefert leider keine Hinweise auf die Gründe für die aus unserer Sicht dürftige Akzeptanz der BTP. Doch aus den vielen Gesprächen von PAC mit Dienstleistern und Anwendern ergeben sich Ansatzpunkte für Kritik an der BTP. Ein wesentlicher Faktor ist die Komplexität, denn unter dem Dach der BTP sind zu viele unterschiedliche Services mit zu vielen unterschiedlichen Zielen vereint. Daher beschränkt sich nach unserem Eindruck die BTP-Nutzung vor allem auf die Middleware-Services.

Weniger als ein Viertel der befragten Unternehmen nutzt derzeit die BTP. Allerdings dürften deutlich mehr die einzelnen Funktionen der BTP nutzen, vor allem die Middleware-Funktionen.

Ein weiterer, noch erheblicherer Kritikpunkt sind die Kosten. Grundsätzlich bietet SAP zwei unterschiedliche Modelle für die BTP-Nutzung an: Beim verbrauchsabhängigen Nutzungsmodell erhalten Unternehmen Zugang zu den benötigten BTP-Diensten und können diese je nach Bedarf in Anspruch nehmen. Die Abrechnung erfolgt nach Verbrauch, also zum Beispiel nach Zahl der Transaktionen. Beim Abonnement-basierten Modell müssen die Unternehmen die Dienste definieren, die sie nutzen wollen. Unabhängig von der Nutzungshäufigkeit zahlen sie einen festen Preis. Die wiederkehrende Kritik an diesen Modellen lautet, dass sie zu teuer und zu unflexibel seien, und dass SAP keine kundenspezifischen Modelle anbiete. Vielen Kunden fehlt auch die Erfahrung, um das für sie passende Modell auszuwählen, was im Falle des verbrauchsabhängigen Modells beispielsweise zu unkalkulierbaren Kosten führen könnte.

Was sind die Alternativen zur BTP?

Daher verwundert es nicht, dass die Unternehmen nach Alternativen Ausschau halten. Im Bereich Data und Analytics bietet sich beispielsweise Microsoft Power BI beziehungsweise die Microsoft Power Platform an. Microsoft bearbeitet den Markt aktuell recht erfolgreich nach einem Muster, das sich schon bei Betriebssystemen und im Office-Bereich bewährt hat: Man räumt privaten oder kommerziellen Nutzenden einen kostenlosen oder preiswerten Zugang ein, um sie mit Oberfläche und Nutzung der Power Platform vertraut zu machen und ebnet so den Einstieg in den kommerziell weit attraktiveren B2B-Markt. Andere wichtige BTP-Wettbewerber in diesem Segment sind beispielsweise Tableau und Qlik. Bei den Entwicklungsplattformen stellen die Platform-as-a-Service (PaaS)-Plattformen der Hyperscaler zunehmend eine Alternative zur BTP zur Verfügung, zumal die Entwickler:innen dieser Plattformen auch schnellen und einfachen Zugang zu innovativen Technologien wie GenAI und Machine-Learning (ML) haben. Zudem können Low-Code-Tools von Pega, Mendix und Microsoft eine Rolle im Wettbewerb mit der BTP spielen.

Warum die BTP eine wichtige Rolle spielt

Dennoch sollte man das Potenzial der BTP nicht unterschätzen. Ein wichtiges Pfund ist, dass SAP selbst der größte Nutzer der BTP ist. In absehbarer Zukunft wird die BTP die Basis aller Cloud-Produkte von SAP bilden, da SAP den Core der ERP-Anwendung stabil – also unangetastet – lässt und neue Funktionalitäten via BTP veröffentlicht werden. Heute schon werden sämtliche innovativen Technologien, etwa für Themen wie Nachhaltigkeit und Künstliche Intelligenz (KI), auf dem Fundament der BTP entwickelt, betrieben und den Kunden angeboten.

Auch auf Seiten der Anwenderunternehmen dürfte die BTP-Nutzung und -Akzeptanz auf Dauer zunehmen. Je mehr Unternehmen auf eine Cloud-basierende S/4HANA-Edition migrieren, desto stärker wird die Nachfrage nach der BTP werden, weil kundenspezifische Erweiterungen entwickelt und integriert werden müssen. Ein Indiz für die große Bedeutung der BTP findet sich heute schon in der Zahl der Beraterzertifikate bei den Dienstleistern: Nach S/4HANA stellen die BTP-zertifizierten Berater:innen den zweitgrößten Block bei nahezu allen größeren Dienstleistern.

Auch wenn es, wie oben erläutert, einige Alternativen zu den diversen BTP-Bestandteilen geben mag, so bietet doch kein Wettbewerber das gesamte Spektrum an Funktionen für SAP-zentrierte Anwendungsumgebungen unter einem Dach an. Noch bedeutender für die nahtlose Integration von kundenindividuellen ERP-Erweiterungen ist, dass die BTP wichtige Basisdienste wie einheitliche Oberfläche, einheitliches Daten- und Domänenmodell sowie eine einheitliche Sicherheitsarchitektur bietet.

Fazit: Die BTP wird sich auf Dauer etablieren

Der von SAP eingeschlagene Plattformansatz mit der BTP im Zentrum ist nachvollziehbar und sinnvoll. Die BTP als einheitliches Domänenmodell kann Unternehmen dabei helfen, übersichtliche und automatisierte Prozesslandschaften zu etablieren, die digitale Transformation zu beschleunigen und das Potenzial von Daten und Datenanalysen besser zu heben.

Auch die Programme RISE und GROW, die von SAP derzeit vehement gefördert werden, dürften die BTP-Nutzung anschieben, weil im Kern dieser Verträge das „Keep-the-Core-clean“-Diktat von SAP steht, das sämtliche kundenindividuellen Anpassungen und Erweiterungen außerhalb des S/4HANA-Kerns vorsieht. Diese haben nach der Logik von SAP auf der BTP zu erfolgen.

Der BTP-Ansatz ist keinesfalls innovativ, er kommt sogar etwas spät, denn die Plattformdiskussion wird in der IT-Branche schon seit Jahren geführt. Aber man sollte die Marktmacht von SAP und die Loyalität der SAP-Kunden nicht unterschätzen. SAP-Kunden neigen nicht zu Plattformwechseln. Das Beispiel S/4HANA-Migration zeigt, dass die Kunden bereit sind, dem von SAP eingeschlagenen Weg zu folgen – zwar mit Grollen, Kritik und erzwungenen Nachbesserungen, aber sie folgen. Eine vergleichbare Adoptionsbereitschaft kann man auch bei der BTP erwarten. Die BTP wird aus Sicht von PAC auf Dauer eine zentrale Rolle in der Unternehmens-IT der SAP-Kunden einnehmen.

Bildnachweis: Bildnachweis: Pierre Audoin Consultants PAC GmbH, Shutterstock + Daniella Winkler

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Autor: Joachim Hackmann
blaupause-Redaktion
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