„Der Business-Case fehlt“

Die meisten DSAG-Mitglieder betrachten Beratungshäuser als wichtige strategische Partner. Doch dieser Rolle gerecht zu werden, ist für SAP-Partner z. B. beim Thema S/4HANA nicht leicht. Ihre Herausforderungen fasst Frank Bayer, Vorstandsvorsitzender der International Association for SAP Partners (IA4SP), zusammen.

Frank Bayer, Vorstandsvorsitzender der International Association for SAP Partners e. V. (IA4SP)

Herr Bayer, warum gibt es wenig realisierte S/4HANA-Projekte?

Frank Bayer: Der klare Mehrwert, den ein Einsatz von S/4HANA gegenüber dem Einsatz von ERP ECC 6.0 oder einem anderen SAP-System bringt, kann nicht eindeutig dargestellt werden. Das höre ich von vielen unserer Mitglieder und das ist immer wieder ein Thema zwischen uns und SAP. Die Unternehmen erwarten, dass wir den Mehrwert von S/4HANA benennen können. Im Moment fällt uns das aber schwer – insbesondere im Mittelstand.

Spielt der Migrationsaufwand keine Rolle?

Die Kombination aus einem annähernd gleichen Aufwand wie bei einer Neueinführung und einem unklaren Mehrwert lässt viele Kunden zögern. Dies gilt gleichermaßen für große Unternehmen wie für den Mittelstand und gewinnt aktuell aufgrund der Konjunkturdelle und damit einhergehender Zurückhaltung noch an Bedeutung. Fast immer fehlt deshalb der klare Business-Case.

Wie lässt sich dieses Problem langfristig lösen?

SAP muss noch mehr Argumente für S/4HANA liefern bzw. wir müssen sie gemeinsam erarbeiten. Die Vorteile dürfen allerdings nicht ausschließlich daraus bestehen, dass Kunden auf S/4HANA wechseln sollten, weil die Wartung der bisherigen ERP-Systeme nur noch bis 2025 zugesichert wird. Das ist schlichtweg nicht genug.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für Unternehmen?

Erstens sind Eigenentwicklungen und standardferne Prozesse herausfordernd. Ein großer Vorteil eines SAP-Systems ist, dass Unternehmen durch die eingebaute NetWeaver-Plattform viel am Standard verändern können. Der Nachteil ist bei einer Migration jedoch, dass diese Eigenentwicklungen idealerweise beseitigt werden sollten.Zweitens ist die Datenmigration umfangreich. Es muss eine Datenqualifizierung stattfinden und der passende Migrationsansatz bestimmt werden, bevor migriert werden kann. Das erhöht den Aufwand. Drittens ist die grafische Benutzeroberfläche (GUI) ein wichtiges Thema. Unternehmen haben hier drei Alternativen: Entweder sie schulen sehr viele Mitarbeitende auf die Fiori-Oberflächen, sie behalten die klassische SAP-Benutzeroberfläche oder sie entscheiden sich für eine Mischung. Ein klarer Mehrwert von S/4HANA ist die User-Experience. Wenn sich aber ein Kunde gegen die Fiori-Oberfläche entscheidet, dann ist dieser Mehrwert weg, und wir sind wieder bei der Frage: Welchen Mehrwert bietet S/4HANA?

Hat Ihr Verband einen Tipp für Ihre Mitgliedsunternehmen und SAP-Kunden für S/4HANA-Einführungen?

Kunden sollten rechtzeitig erfahrene Partner mit in die Gesamtplanung einbeziehen. Es gibt einige Partner, die spezielle Expertise und Produkte für Migrationen anbieten. So bieten einige IA4SP-Mitglieder Produkte und Services zum Thema Selective-Data-Migration. Zudem sollten Unternehmen genauso wie Partner die Hersteller von Add-ons frühzeitig kontaktieren und über den Zeitplan der Migration informieren. Partner sollten sich rechtzeitig damit beschäftigen, welche Änderungen und Anpassungen an den Add-ons für den S/4HANA-Betrieb nötig sind. Sie müssen prüfen, ob alle notwendigen branchen- und prozessspezifischen Funktionalitäten in S/4HANA verfügbar sind. Außerdem darf die Datenmigration nicht unterschätzt und das Thema Hyperscaler wie Microsoft Azure, Amazon Web Services und Google Cloud als ergänzendes oder alternatives Betriebsmodell nicht außer Acht gelassen werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Bildnachweis: Daniella Winkler + iStock

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