Gold im S/4HANA-Sprint

Wer schon einmal ein SAP-Projekt umgesetzt hat, weiß, wie leicht sowas zum enorm zeitaufwändigen Marathon werden kann. Dass das nicht so sein muss, sondern z. B. der Wechsel von ERP 6.0 auf S/4HANA auch in wenigen Monaten realisiert werden kann, belegt Viessmann. Der global agierende Hersteller von Energiesystemen hat 28 Produktionseinheiten in 34 Ländern und weltweit 78 Vertriebs­organisationen mit einem Big Bang auf S/4HANA migriert. Dabei wurden wichtige Prozesse optimiert, Innovationen umgesetzt und globale Standards geschaffen. Ein einzigartiger Sprint in der produzierenden Industrie.

Dr. Harald Dörnbach, Geschäftsführer Viessmann IT Service GmbH

Als Traditionsunternehmen mit einer über 100-jährigen Geschichte liegt es nahe, das nordhessische Unternehmen Viessmann vor allem als Marathon- oder Langstreckenspezialisten zu bezeichnen. Doch auch auf der kurzen Distanz hat der Spezialist für Energiesysteme jetzt seine Stärke gezeigt: Binnen weniger Monate hat das Unternehmen im Rahmen seiner S/4HANA-Einführung 190 Buchungskreise und 30 Milliarden Datensätze transferiert. Mehr als 6.000 Nutzer waren von der weltweiten Umstellung betroffen. „Uns ist die bisher weltweit größte S/4HANA-Transformation in der produzierenden Industrie mit einem reibungslosen Produktivstart gelungen. Damit haben wir einen wichtigen Schritt zu mehr Agilität und Schnelligkeit gemacht“, erläutert Dr. Harald Dörnbach, Geschäftsführer Viessmann IT Service.

Wahl des Materials entscheidend

Denn die Entscheidung für S/4HANA war auch eine wichtige, um den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft gewachsen zu sein: „Viessmann wandelt sich von einem Produktunternehmen hin zum digitalen Dienstleister. Wir müssen schneller und agiler werden – und dabei helfen international standardisierte und skalierbare Prozesse.“ So möchte das Unternehmen z. B. mit dem Internet der Dinge Mehrwertdienste für seine Heizungsbauer und Verbraucher anbieten. „Ein Ziel ist, dass unsere Heizungen über eine App steuerbar sind und wir das Thema Predictive-Maintenance angehen“, erläutert Dr. Harald Dörnbach. Doch nicht nur für die Einführung neuer Dienste sieht der IT-Experte S/4HANA als Basis. Vielmehr war die Transformation auch eine gute Gelegenheit, das System von Altlasten zu befreien.

Richtige Rennstrategie gewählt

„Wir haben uns für eine Mischung aus Green- und Brownfield­-Ansatz entschieden, um genau zu schauen, welche Prozesse und Module wir wirklich behalten wollen und wo wir nachjustieren müssen“, so der IT-Leiter. Im Zuge der S/4HANA-Einführung wurde daher auch ein Global-Process-Owner-Konzept eingeführt, in dessen Rahmen diskutiert wurde, welche Prozesse wie verändert werden sollen. Ein Beispiel ist hier der Service-Bereich, in dem noch nicht für alle Firmen ein Customer-Service-Modul genutzt wurde. Hier hat Viessmann nachjustiert. Zusätzlich wurde die gesamte Planungsebene mit der Cloud-Lösung SAP Integrated Business Planning (SAP IBP) auf neue Füße gestellt. „Außerdem haben wir unsere weitestgehend eigen geschriebene Bonusabwicklung jetzt in den Standard überführt. Diese Standardisierung zieht sich quer durch die eingesetzten Module von HR über den Vertrieb bis zur Buchhaltung“, berichtet Dr. Harald Dörnbach über die Details des Projekts.

Die mit der S/4HANA-Einführung einhergegangenen Innovationen sprechen für sich. So konnte beispielsweise in der Bedarfsplanung viel Zeit gespart werden. „Wir haben die Laufzeiten im Material Requirement Planning (SAP MRP) von sechs Stunden auf 50 Minuten reduziert“, fasst Dr. Harald Dörnbach zusammen. Dementsprechend kann dieser Planungsprozess nun öfter durchgeführt werden, wodurch Viessmann schneller und flexibler reagieren kann.

Die Viessmann Group ist einer der international führenden Hersteller von Energiesystemen.

Fokussiert ins Rennen

Wichtig war dem IT-Experten dabei, frühzeitig und eng mit den Fachbereichen zusammenzuarbeiten und Prozesse von Anfang bis Ende zu fokussieren. Denn: Die S/4HANA-Einführung ist aus seiner Sicht kein IT-, sondern ein Business-Thema. „Da wir das Ganze weltweit in einem Big Bang umgestellt haben, mussten wir vorher viel vorbereiten und uns eng abstimmen“, so der Geschäftsführer der Viessmann IT Service über das Projekt. In guter Vorbereitung und klarer Kommunikation sieht er auch den Grund dafür, dass das Projekt insgesamt so reibungslos verlaufen ist. Gleichzeitig warteten in der Anfangsphase jedoch auch die größten Herausforderungen. „Man braucht ein klares und stringentes Projekt-Management, um die Laufzeit kurz zu halten. Denn Fakt ist nun einmal, dass andere Fachbereichsanforderungen während solcher Projekte liegen bleiben. Schon allein deshalb kommt es hier auf Geschwindigkeit an“, erläutert Dr. Harald Dörnbach zu den Herausforderungen eines S/4HANA­-Einführungsprojekts. Und auch in den Hochphasen des Testens war ein gutes und stringentes Projekt-Management essenziell, da international bis zu 600 Menschen gleichzeitig involviert waren.

Hürden erfolgreich genommen

Eine weitere Herausforderung bei der S/4HANA-Einführung hatte Viessmann durch den gewählten Mischansatz zu meistern. „Dadurch, dass wir keinen reinen Brown- oder Greenfield-Ansatz gewählt haben, sondern uns für Best-of-both entschieden haben, brauchten wir entsprechende Tools“, so der IT-Experte. Hier sei die Auswahl am Markt jedoch beschränkt. Nur wenige Anbieter stünden zur Verfügung. Weitere Schwierigkeiten gab es anfangs mit den Add-­on-Herstellern. „Wir haben viele Add-ons im Einsatz und viele Hersteller lassen sich ihr Produkt neu lizenzieren, wenn sie auf das S/4HANA-­Datenbank-System migrieren“, so der IT-Experte. Gleichermaßen sei die Verfügbarkeit nicht immer gegeben. So gibt es wohl einige Anbieter, die zwar durch SAP zertifiziert sind, aber ihr Add-on für das S/4HANA-Release 1909 noch nicht anbieten. „Hier ist Planung auch wieder die halbe Miete“, sagt Dr. Harald Dörnbach.

The company, founded in 1917, employs 12,000 people and the group turnover is 2.5 billion euros.

Weiter auf Rekordjagd

Eine gute Planung braucht die IT des Konzerns auch in Zukunft, denn mit der S/4HANA-Einführung ist der Wunsch nach optimierten Prozessen und einer stärkeren Standardisierung noch lange nicht in Gänze erfüllt. „Wir haben im Laufe der Zeit gemerkt, dass es noch viel mehr gibt, das wir verändern, verschlanken möchten“, so der IT-­Experte. Auf der Goldmedaille, die sich sein Team für die schnelle S/4HANA-Einführung redlich verdient hat, wird sich die Viessmann-­IT also keineswegs ausruhen. Im Gegenteil: Neue Firmen müssen integriert, Gesellschaften zusammengeführt und das Thema Industrie 4.0 sowie das neue Demand-Management weiter vorangetrieben werden. Auf die Nordhessen wartet also durchaus noch der eine oder andere Rekord auf der Lang- oder Kurzstrecke.

Bildnachweis: Daniella Winkler + iStock, Viessmann GmbH & Co. KG

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