Spurensuche: S/4HANA

Die DSAG-Jahreskongress-Umfrage und der Investitionsreport haben belegt: Unternehmen haben weitreichende Pläne hinsichtlich der Umstellung auf S/4HANA. Doch obwohl die Entscheidung für die Lösung in vielen Fällen bereits gefallen ist, stagniert die Anzahl derer, die Projekte tatsächlich realisiert haben. Was sind die Gründe dafür, und was gilt es bei der Einführung von S/4HANA zu beachten?

Ralf Peters, DSAG-Fachvorstand Digitalisierung, Finance & Value Chain

Die Gründe dafür, dass die Anzahl der erfolgreichen S/4­HANA-Einführungsprojekte derzeit noch sehr überschaubar ist, sind vielfältig. „Zum einen konkurriert S/4HANA mit der Digitalisierung und der Automatisierung von Prozessen in den Unternehmen“, weiß Ralf Peters, DSAG-Fachvorstand Digitalisierung, Finance & Value Chain, und ergänzt: „Mit Projekten zur Digitalisierung wollen Unternehmen ihren Umsatz steigern. Mit Automatisierung lassen sich kurzfristig Kosten sparen.“ Dementsprechend sei nachvollziehbar, dass viele Unternehmen ihre internen Ressourcen erst einmal für diese Projekte einsetzten. Natürlich kann langfristig gesehen auch mit S/4HANA gespart werden. Doch mit kurzfristig erzielbaren Erfolgen im Blick lässt sich in der Regel vor Entscheidern in den Unternehmen wesentlich leichter argumentieren. Bei S/4­HANA-Einführungen muss strategischer argumentiert werden, was ungleich schwieriger ist.

Noch zu wenige Erfahrungen mit S/4HANA

„Zum anderen lassen sicherlich auch die noch spärlich vorhandenen Erfahrungen mit S/4HANA-Einführungen auf dem Beratermarkt die Unternehmen zögern“, beschreibt Ralf Peters die Situation. In der Vergangenheit hatten Unternehmen bei R/3-Projekten oder der Einführung von ERP ECC 6.0 die Ressourcen im eigenen Haus, die das System kannten und dementsprechend gute Sparrings-Partner waren. Das sei bei S/4HANA schwieriger. Einerseits sind die internen Ressourcen inzwischen oftmals stärker in anderen Projekten gebunden. Andererseits gibt es bisher auch auf Beraterseite nur wenige Erfahrungen mit S/4HANA. „Dementsprechend verlängert sich die Phase der Entscheidungsfindung. CIOs bzw. IT-Verantwortliche prüfen eher, ob die vorliegenden Angebote wirklich valide sind, oder ob sie besser noch weitere von anderen Firmen einholen“, erläutert der DSAG­-Fachvorstand. Um diese Schwierigkeiten zu umgehen, sei es notwendig, die eigenen personellen Ressourcen in die Lage zu versetzen, stärker mitzudenken. Schulungen sind hier ein ganz wichtiger Aspekt.

Darüber hinaus ist die Zahl der Berater im S/4HANA-Umfeld gering, die wirklich visionär denken, meint Ralf Peters. Es gibt viele Berater, die schon sehr lange im R/3-Umfeld unterwegs sind, und dieses Wissen ist sehr nützlich. „Doch die Frage, die häufig unbeantwortet bleibt, lautet: Wie kann ich die Neuerungen, die S/4HANA mit sich bringt, gewinnbringend in meinem Unternehmen einsetzen? Und wenn diese Frage dann endlich beantwortet ist, verzögert sich eine Entscheidung für die Umstellung oft zusätzlich, weil die aufgerufenen Beraterpreise aufgrund des sehr spitzen Markts teils sehr hoch sind“, ordnet Ralf Peters ein. Das führe wiederum dazu, dass das eine oder andere Unternehmen mit der Einführung noch warte. Dieser Kostenaspekt spielt natürlich besonders für kleinere Unternehmen eine große Rolle. Sie müssen genau abwägen, ob sie das Budget nicht erst einmal in ein Digitalisierungsvorhaben statt in die S/4HANA-Einführung stecken.

Besserer Informationsfluss seitens SAP wünschenswert

Bestimmte Faktoren, die die Unternehmen an der Einführung von S/4HANA hindern, sind somit marktbedingt. „Hier kann ein Software-Hersteller wie SAP nur wenig tun. Doch insgesamt informiert SAP aus unserer Sicht noch nicht gut genug. Es gibt viele Dinge im S/4HANA-Umfeld, die Unternehmen unterstützen könnten – gerade auch im Mittelstand –, doch der Informationsfluss ist noch nicht optimal“, erklärt Ralf Peters. Deshalb fordert die DSAG von SAP tragfähige Unterstützung bei der Umstellung auf S/4HANA und Gesamtszenarien der SAP-Produktlandschaft, damit Anwender wissen, wie alle Produkte und Lösungen zusammenpassen. „Die S/4HANA-Welt mit all ihren möglichen Komponenten ist komplex und jeder Design-Fehler kostet Geld. SAP muss die Unternehmen unterstützen hinsichtlich der Planung und Realisierung zukunftsfähiger und integrierter Applikationen sowie deren Zusammenspiel in hybriden Landschaften unter Berücksichtigung der verschiedenen digitalen Innovationen“, fordert Ralf Peters von SAP. Die Unternehmen brauchen eine Perspektive und müssen wissen, wo die Reise in den nächsten Jahren konkret hingeht. Nur so können sie wirklich valide Entscheidungen treffen.

Patrick Kosche,
CFO und CIO der Jab Josef Anstoetz KG
sowie DSAG-Arbeitskreissprecher S/4HANA

„Die Unternehmen beschäftigen sich derzeit nicht nur mit S/4HANA, sondern insbesondere mit der Weiterentwicklung der geschäftlichen Tätigkeiten. So etwas braucht natürlich Zeit – für Entscheidung, Planung, Vorbereitung und Umsetzung. Daher muss man die Planungen von S/4HANA-Aktivitäten über einen Zeitraum von zehn und mehr Jahren betrachten – eine einfache Statusaufnahme zu einem Stichtag reicht nicht aus.“

Zahlreiche Vorüberlegungen notwendig

Doch mit der Entscheidung allein ist es nicht getan. Grundsätzlich gilt: Je komplexer die Landschaft, umso mehr muss ich bei einer Umstellung auf S/4HANA beachten. So setzt die Migration z. B. eine hohe Stammdatenqualität voraus und kann hinsichtlich der Analyse der Eigenentwicklungen verschiedene Fallstricke bereithalten. Insbesondere ein Komplettumzug von einem System in ein anderes kann vielschichtig sein. Das merkt man aber häufig erst, wenn man sich mit den Details beschäftigt – bis hin zum Housekeeping. Und auch das führt oft zu einer Verzögerung bei der Einführung. „Housekeeping-Projekte sind unangenehm und können viel Zeit verschlingen. Doch wer den Implementierungsaufwand während der System-Conversion minimieren möchte, sollte einige Themen vor der eigentlichen S/4HANA-Einführung behandelt haben“, ist sich Ralf Peters sicher. Ein Beispiel ist die Business-Partner-Thematik. Und das gilt auch für Integrationsszenarien von SAP ERP mit SAP-Cloud-Lösungen bzw. -Applikationen.

Unternehmen sollten sich vor der Einführung der Lösung zunächst einige Fragen beantworten: Welchen Zielzustand strebe ich an und welchen Platz soll S/4HANA in meiner Systemlandschaft einnehmen? Und sollen die bestehenden Prozesse für die SAP-Welt optimiert werden? Grundsätzlich muss natürlich auch geklärt werden, welcher Ansatz der richtige für das Unternehmen ist. Ein Brownfield-­Ansatz eignet sich insbesondere dann, wenn ein Unternehmen bereits SAP einsetzt und vieles schon dem Standard entspricht. Ein Greenfield-Ansatz hingegen ist vor allem dann geeignet, wenn eine Firma noch kein SAP einsetzt und der Wille zum Umdenken da ist. Darüber hinaus muss ein Unternehmen das für sich passende Betriebsmodell wählen und dabei abwägen, ob dem eigenen Rechenzentrum, Outsourcing oder S/4HANA als Software-as-a-Service-­Lösung der Vorzug zu geben ist. „Insgesamt empfiehlt sich der Blick auf die Ausgangslage und die vorhandene Datenqualität“, so Ralf Peters. Ist das Quellsystem bereits von SAP oder von einem anderen ERP-Anbieter? Der Grund: SAP-Neukunden haben einen noch größeren Bedarf an Anpassung der Organisation in IT und Fachbereich.

Gleichzeitig sollten Unternehmen ihre Prozesse und Drittapplikationen im Blick haben. Sie müssen aufgeräumt sein, und Schnittstellen sowie „Umsysteme“ sollten vorab reduziert werden. Ein Konzept für historische Daten sollte ebenfalls vorhanden sein. Und auch die Anwendertypen dürfen nicht vergessen werden. Wer wird das System nutzen und wie verteilt sich die Nutzung über die Anwender? Erst dann sollten Unternehmen einen Zeitrahmen für das Projekt festlegen und entscheiden, ob sie zusätzlich externe Unterstützung benötigen. Vorher macht es keinen Sinn, bestimmte Services einzukaufen oder selbst durchzuführen. Daher lautet die Empfehlung des Experten: Unternehmen, die S/4HANA einführen wollen, sollten sich Stück für Stück mit der Thematik auseinandersetzen.

Bildnachweis: DSAG, Daniella Winkler + iStock

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