„Wir müssen überall Impulse setzen“

Zwei Frauen, zwei Karrieren in der IT: Das sind Marion Tycner, kaufmännische Fach-IT-Expertin in der Abteilung Konzernrechnungswesen und -steuern bei der EWE Aktiengesellschaft sowie Sprecherin der DSAG-Arbeitsgruppe Rechnungswesen (extern), und Manuela Wallmeier, SAP PLM Inhouse Consultant bei Sartorius sowie Sprecherin des DSAG-Arbeitskreises Product Lifecycle Management. Bereits seit den 80er Jahren im IT-Umfeld unterwegs, sind beide Rollenvorbilder für viele Frauen. Was sich über die Jahrzehnte verändert hat und an welchen Schrauben noch gedreht werden muss: Die blaupause hat nachgehakt.

Marion Tycner, kaufmännische Fach-IT-Expertin bei der EWE AG

Angefangen hat wie so oft alles mit dem Zufall – jedenfalls bei Marion Tycner. „Ich bin über den zweiten Bildungsweg in meinen Beruf reingerutscht“, erinnert sie sich. „Nach meiner Ausbildung zum Bürokaufmann – damals gab es noch nicht einmal eine weibliche Bezeichnung für den Beruf! – in einer Kfz-Werkstatt habe ich die Fachoberschule besucht, danach studiert und mich in kleinen Schritten der damals immer stärker aufkommenden EDV genähert. Sprich, die ganz klassische IT wie PL1-, COBOL- und ABAP-Programmierung habe ich von der Pike auf gelernt. Bei meinem ersten Arbeitgeber in Frankfurt arbeitete ich 1986 dann im Rechnungswesen schon mit SAP R/2.“

War’s das jetzt oder kommt noch was?

Dass sie beruflich mehr wollte als „nur“ Bürokauffrau zu sein, wurde der heutigen DSAG-Sprecherin schnell klar – und brachte sie, nach leitenden Positionen in der SAP-Beratung, in eine verantwortliche Funktion im Standards- und Daten-Management, der Schnittstelle zur Konzern-IT und zu den IT-Dienstleistern, beim Oldenburger Energiekonzern EWE.

Bei Manuela Wallmeier hingegen ebneten schulische Vorlieben letztlich den Weg in den Beruf. „Ich habe mich schon immer für Mathematik begeistert, das hat mich zu meinem späteren Beruf als mathematisch-technische Assistentin (MTA) gebracht“, erzählt sie. „Die Frauenquote betrug etwa 70 Prozent, und ich habe nicht eine Sekunde überlegt, ob dort mehr Männer oder Frauen arbeiten oder wie mein Umfeld meine Entscheidung aufnimmt.“

Manuela Wallmeier, SAP PLM Inhouse Consultant bei der Sartorius AG

Ein Muss: Förderung von oben

Dass die PLM-Expertin bis heute von ihrer Tätigkeit fasziniert ist, zeigt auch ein Blick in die Vergangenheit: „Ich bin seit über 30 Jahren im IT-Umfeld beschäftigt, und dank neuer Systeme und Technologien war es stets spannend und abwechslungsreich – mich jedenfalls hat dieser Wandel immer herausgefordert.“

„Das waren wirklich noch ganz andere Zeiten als heute, und für viele war es nicht selbstverständlich, dass Frauen in diesem Bereich arbeiteten“, blickt Marion Tycner zurück. „Ich zum Beispiel war die einzige Frau in der Abteilung.“ Die allerdings bald beweisen konnte, dass auch damals schon Leistung und Inhalte zählten: „Ich habe schnell die Chance bekommen zu zeigen, was ich kann – mein damaliger Chef hat mir als einziger Frau im Team die Projektleitung für die SAP-Einführung in der Kreditorenbuchhaltung übertragen.“

Herausforderungen annehmen

Bei Manuela Wallmeier gab es mitunter kleine Turbulenzen, und inzwischen erinnert sie sich gerne an ihren überraschendsten Moment: „Ich sollte relativ spontan eine Leitungsfunktion übernehmen, und genauso spontan hatte die HR-Abteilung dann Bedenken, ob ich dafür kompetent genug sei“, erzählt sie. „Denn ohne die Fähigkeiten des Einzelnen zu bewerten, hätte die Personalabteilung einen männlichen Kollegen aus dem Team mit Studium bevorzugt.“ Am Ende bekam sie den Posten, bildete sich mit einem Nachwuchsführungskräfteprogramm weiter und überzeugte letztlich auch HR mit Kompetenz und Inhalten.

Von Datenerfasserinnen zu Digital Twins

Glück hatten beide IT-Expertinnen auch insofern, als dass sie zum richtigen Zeitpunkt von ihrem Vorgesetzten gefördert wurden – und das zu einer Zeit, in der in ihren Unternehmen auch noch reine Datenerfasserinnen arbeiteten.„In meinem Team sind wir heute inzwischen etwa 35 Prozent Frauen“, berichtet Manuela Wallmeier. „Aber das ist immer noch nicht zufriedenstellend. Es hat sich so viel getan, wir haben so viele Änderungen und Möglichkeiten miterleben dürfen, es gibt so viele Chancen und Potenziale heute, und Frauen sind in jedem Job akzeptiert – und dennoch sind wir in der IT immer in der Unterzahl.“ Dass Frauen heute in allen Jobs zu finden sind und Männer in Elternzeit gehen, findet sie toll, „nur sollten wir es hier mit unserer Begeisterung nicht allzu sehr übertreiben, da dies eigentlich selbstverständlich sein sollte.“

Die IT-Arbeitskräftelücke ist weiterhin groß.

IT-Jobs sind abwechslungsreicher als gedacht

Marion Tycner pflichtet ihr bei: „Bei uns in der Abteilung Rechnungswesen und Steuern ist der Frauenanteil höher als anderswo. Und ich sage ganz ehrlich: Wenn Erfahrung und Kompetenz bei zwei Bewerbern gleich sind, würde ich immer die Frau bevorzugen.“ Sie empfiehlt: Wer sich durchsetzen will, der sollte auf seinen Fachverstand und gute Umgangsformen vertrauen, aber immer auch sein Netzwerk im Blick haben und konstant pflegen. „In der IT sind Kreativität und logisches Denken gefordert. Das schreit geradezu nach mehr Mädchen und Frauen, die sich engagieren, da sie darin aus meiner Sicht besonders talentiert sind“, sagt sie entschieden. „Bei EWE habe ich nun nach über 35 Jahren Berufstätigkeit das erste Mal eine Abteilungsleiterin als Vorgesetzte. Und seit vergangenem Jahr gibt es bei uns auch eine Vorständin“, fügt sie stolz hinzu.

Die drei Ks

Angesprochen auf die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Kollegen sind sich beide Frauen einig: Krisenmanagement sowie Konflikt- und Kompromissfähigkeit sind Eigenschaften, die Frauen Männern meistens voraushaben. „Ich habe es mehr als einmal erlebt, dass Frauen vorrangig an einer guten Lösung interessiert sind“, erläutert Marion Tycner. „Und nicht daran, eigene Ideen oder Vorstellungen durchzuboxen.“

„Bei Frauen gibt es definitiv weniger Alphatierchen-Gehabe“, ergänzt Manuela Wallmeier, „dafür aber ein sensibleres Gespür für Bedürfnisse und ein größeres Harmoniestreben.“ Auf der anderen Seite sieht sie aber auch, dass Frauen nach wie vor ihr Licht oftmals unter den Scheffel stellen, manche eigenen Ideen sogar schlecht machen. „Viele Frauen überdenken vieles zu oft und zu lange“, hat sie beobachtet und rät, „einfach mal machen, denn sonst ist die Gelegenheit vorbei oder das Meeting rum, und im dümmsten Fall hat ein Kollege mit einer weniger guten oder ähnlichen Idee den Erfolg für sich beansprucht.“

Früh fördern

Vorbei sind viele wichtige Gelegenheiten und Chancen aber auch, wenn Förderungen und Mentorenprogramme erst in der Oberstufe oder in der Universität beginnen. „Wir müssen schon in den Kindergärten bei den Mädchen das Interesse für Technik und IT wecken und wachhalten – und vor allem auch klar machen, dass es wichtig ist, immer den eigenen Weg zu gehen, egal, was andere sagen oder denken“, sagt Marion Tycner.

Nachfrage nach IT-Experten steigt immer stärker

Marion Tycner weiß, dass sie ihren Beruf und ihre Leitungsposition letztlich ihrem eigenen Engagement, Können und ihrer Durchsetzungskraft zu verdanken hat. „Mir ist es sehr wichtig, dass Mädchen und Frauen heute mehr Chancen bekommen zu zeigen, was sie können. Ich konnte das tun, hatte aber auch das Glück, meinen eigenen Weg gehen zu können. Als Mutter von jetzt 20-jährigen Drillingen wäre die oft zeitintensive Arbeit aber nicht ohne den Rückhalt meines Mannes möglich gewesen. Wir leben die klassische Rollenteilung, in der er die Organisation des Haushalts übernommen hat.“ Einen Ratschlag hat sie noch parat: Auch mal „nein“ sagen und das „ja“ unterdrücken. Auf eine gesunde Work-Life-Balance zu achten, hat sie oft genug vergessen.

Manuela Wallmeier ergänzt: „Angesichts der fortschreitenden Digitalisierung und hohen Nachfrage nach IT-Experten und -Fachwissen kann ich allen interessierten jungen Mädchen und Frauen nur raten, sich für einen solchen Job zu qualifizieren und zu begeistern. Die Karrierechancen sind sehr gut.“

Es lohnt sich

Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft unterstreichen ihre Aussage: Von 2012 bis 2019 stieg die Zahl der Beschäftigten in IT-Fachkräfteberufen in Deutschland um fast 43 Prozent. In der Metall- und Elektro-Industrie (M+E) waren dabei mehr als 45 Prozent der MINT-Akademikerinnen und -Akademiker in leitender Position tätig und jeweils nur etwa fünf Prozent der MINT-Akademiker und MINT-Fachkräfte befristet beschäftigt. Angesichts dieser Entwicklungen rät Manuela Wallmeier Kolleginnen und allen interessierten Mädchen und Frauen abschließend noch: „Geht Themen aktiv an, meldet euch freiwillig – auch hier in der DSAG, für Sprecher-Jobs oder für den Vorstand – und lasst uns so Impulse setzen!“

Bildnachweis: DSAG, Shutterstock + Anna Polywka

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