Klemmbrett gegen iPad getauscht

Digitalisierung Weidmüller

Sich wandelnde Ansprüche der Kunden und eine hohe Flexibilität in der Fertigung stellen auch die IT von Weidmüller, einem Experten auf dem Gebiet der elektrischen Verbindungstechnik und Elektronik, immer wieder vor Herausforderungen. Daher hat das Unternehmen jetzt seinen Shopfloor mit der SAP Digital Manufacturing Suite digitalisiert und dabei vorhandene Maschinen erfolgreich an das SAP-System angebunden.

Michael Ludwig, Smart Factory Integration Engineer bei der Weidmüller Interface GmbH & Co. KG

Digitale Lösungen für den Shop­floor gewinnen auch bei Weidmüller mehr und mehr an Bedeutung. „Unsere Aufgabe ist es, die Anforderungen des Fachbereichs aufzubereiten und eine Lösung zu finden, in die wir dann unseren Prozess gießen können“, erläutert Michael Ludwig, Smart Factory Integration Engineer bei Weidmüller. Damit das gelingt, muss zunächst ein gemeinsames Verständnis herrschen.

Der Herausforderung, zu diesem zu gelangen, stellten sich Michael Ludwig und sein Kollege Markus Frelke, Application Consultant, auch bei der Digitalisierung der Fertigung im thüringischen Werk Wutha-Farnroda. Rund 40 Maschinen wurden mit eigens entwickelten Internet-of-Things-Controllern angebunden. Zudem greift das eingeführte Manufacturing-Execu­tion-System (MES) der SAP Digital Manufacturing Suite (siehe Glossar Seite 16) auf das En­terprise-Resource-Planning-System (ERP) zu.

Weidmüller Interface GmbH & Co. KG
Als erfahrene Experten unterstützt die Unternehmensgruppe laut eigenen Angaben Kunden und Partner auf der ganzen Welt mit Produkten, Lösungen und Services im industriellen Umfeld von Energie, Signalen und Daten. Weidmüller verfügt über Produktionsstätten, Vertriebsgesellschaften und Vertretungen in mehr als 80 Ländern. Im Geschäftsjahr 2019 erzielte die Gruppe einen Umsatz von 830 Mio. Euro mit rund 5.000 Mitarbeitenden.

Papierlose Prozesse und mehr Transparenz

Ziele der MES-Einführung waren, die digitale Durchgängigkeit zu erhöhen, soweit wie möglich papierlos zu arbeiten, die Prozesse transparenter sowie Arbeitsabläufe und Maschinen noch flexibler zu machen. „In erster Linie wollten wir Weidmüller mit diesem Projekt weiterentwickeln. Uns war klar, dass uns die Digitalisierung dabei helfen würde, transparenter zu werden, um auch künftig Kundenanforderungen wie z. B. dem wachsenden Wunsch nach besserer Rückverfolgbarkeit zu entsprechen“, erläutert Frelke die Intention hinter dem Projekt. Darüber hinaus wollte das Team mit dem Projekt die eigenen Prozesse mit digitaler Unterstützung weiter optimieren.

„Übergeordnet war es auch ein Ziel, die Zufriedenheit der Mitarbeitenden zu erhöhen“, beschreibt Frelke. Die Arbeit für die Kollegen in der Fertigung sollte angenehmer werden. „Das haben wir unter anderem erreicht, indem wir Laufwege verkürzten. Durch die Zeitersparnis konnten wir zudem einen Mehrwert für unsere Kunden generieren: verkürzte Lieferzeiten und verbesserter Kundenservice“, so der Application Consultant. Und auch was die Analysefähigkeit anbelangt, sollten mit MES neue Maßstäbe gesetzt werden. Die Digitalisierung und die höhere Transparenz erleichtern es vorherzusagen, wie der Zustand der Maschinen zu einem späteren Zeitpunkt sein wird.

Arbeitskreis Fertigung
Innerhalb des Arbeitskreises tauschen mehr als 1.300 DSAG-Mitglieder Erfahrungen und Informationen zu SAP-Lösungen im Wertschöpfungsnetzwerk von produzierenden Unternehmen aus. Gleichzeitig setzt sich der Arbeitskreis für bedarfsgerechte SAP-Lösungen ein. Im Kontext industriespezifischer Prozesse stehen die Themen Manufacturing-Execution-System (MES), (Produktions-)Planung und Lean-Manufacturing im Fokus.

Suite vollumfänglich im Einsatz

Markus Frelke, Application Consultant bei der Weidmüller Interface GmbH & Co. KG

„Wir haben bereits SAP ERP im Einsatz, weshalb die Entscheidung für eine weitere SAP-Lösung wie die Digital Manufacturing Suite nahe lag, um eine homogene Software-Landschaft zu behalten“, erklärt Michael Ludwig die Entscheidung. Konkret setzt das Unternehmen die Komponente SAP Plant Connectivity (SAP PCo) für eine umfassende Maschinenanbindung ein, um die Produktionsebene informationstechnisch mit dem MES zu verbinden. Somit werden alle Maschinentypen, die z. B. Maschinenprotokolle wie Euromap oder OPC-UA nutzen, darüber an das System angebunden.

Des Weiteren setzt das Unternehmen auf Manufacturing Integration and Intelligence (SAP MII), um den Shopfloor, MES-Systeme und das ERP-System zu verbinden und mit Dashboards die Produktionsprozesse noch transparenter zu gestalten. „Unsere Kollegen haben das Klemmbrett gegen iPods und iPads getauscht“, sagt Michael Ludwig. Auf dem mobilen Gerät sehen die Kollegen direkt vor Ort den aktuellen Status ihrer Maschinen, die Auslastung und mögliche Probleme. Damit sparen sie sich die permanenten Kontrollgänge. Zudem lassen sich jetzt von überall Sichtprüfungen dokumentieren, Mengen verbuchen oder Material einscannen. Insgesamt sind die Wege in der Fertigung damit viel kürzer.

Aus dem MES nutzt das Unternehmen zudem die Fertigungslösung Manufacturing Execution (SAP ME), in der die Hauptprozesse und die Stammdaten abgebildet sind. „Früher lagen die Daten noch an verschiedenen Stellen in ihren ‚Silos‘, heute sind sie zentral erfasst. Sie können von überall genutzt und analysiert werden. Alle Betriebsdaten der Maschinen im Shop­floor sind einsehbar“, so Michael Ludwig. Probleme lassen sich so schon bei der Entstehung beheben und defekte Teile austauschen. Mit der neuen Transparenz optimiert Weidmüller nicht zuletzt die Produktion und passt z. B. die geplanten Druck- und Kühlzeiten von Spritzgussmaschinen an die Realität an.

Glossar

SAP Digital Manufacturing Suite
Die Suite soll eine flexible, kennzahl­gestützte, transparente Produktion sowie eine effiziente Werkerführung und Produktrückverfolgbarkeit bei nahtloser ERP-Prozessintegration bieten. In der Suite sind die Lösungen SAP Manufacturing Execution (SAP ME), SAP Manufacturing Integration and Intelligence (SAP MII), SAP Plant Connectivity (SAP PCo), SAP Digital Manufacturing Execu­tion (SAP DME) und SAP Digital Manufacturing Insights (SAP DMI) enthalten.

Prüfung von Fall zu Fall

Mit der digitalen Lösung verkürzen sich die Wege in der Fertigung und es wird ermöglicht, alle Betriebsdaten der Maschinen im Shopfloor einzusehen.

Bei vielen Unternehmen sind die Produktionsmaschinen schon lange Jahre im Einsatz, sodass eine digitale Anbindung nur mit Work­arounds möglich ist und individuelle Lösungen nötig sind. „Bei Weidmüller mussten wir immer von Fall zu Fall prüfen, ob eine Anbindung sinnvoll ist“, erläutert Markus Frelke. Teilweise wurden deshalb Schnittstellen nachgerüstet und eine Internet-of-Things-Kopplungslösung entwickelt, um von allen Maschinen die relevanten Daten zu erfassen. Weidmüller hat damit Neuland betreten, berichtet Markus Frelke: „Vorher gab es vereinzelt Insellösungen. Wir hatten über eigenentwickelte oder zugekaufte Programme bestimmte Maschinen angeschlossen. Mit der Digital Manufacturing Suite konnten wir hier vieles ablösen.“

Insgesamt wurden im ersten, etwa neun Monate dauernden Implementierungsprojekt zunächst vierzig Kunststoffmaschinen angebunden. Im zweiten und dritten Schritt wurden im Montage- und Metallbereich weitere Sonderanlagen angebunden und darüber hinaus auch Prozesse optimiert, sodass inzwischen an die hundert Maschinen digitalisiert sind.

Herausforderung: Stammdaten

Wie bei jedem Projekt gab es auch Hürden zu meistern. „Wir arbeiten mit vielen verschiedenen Technologien, was die Oberflächen, die Integration und das Java-Deve­lopment anbelangt. Hier mussten wir erstmal das Verständnis auf der Entwicklungsebene gewinnen“, so Markus Frelke. Zusätzlich galt es, Know-how hinsichtlich des Produkts, der Prozesse, des Customizing und der Maschinenanbindung aufzubauen. „Eine Herausforderung war es auch, die Stammdaten so gerade zu ziehen, dass wir die Integration der Prozesse durchgängig hoch halten konnten“, sagt Markus Frelke. Zudem musste Zeit investiert werden, um Akzeptanz bei den Anwendern zu schaffen.

Wenngleich die Experten mit den Ergebnissen der Manufacturing-Suite-Einführung sehr zufrieden sind, sehen sie trotzdem noch Verbesserungspotenzial bei der Lösung. „SAP könnte bezüglich der Usability in den Prozessübersichten im ME noch nachbessern. Sie sehen verglichen mit anderen User-Interfaces veraltet aus. Das ist aber Kritik auf hohem Niveau“, meint Markus Frelke. Daher verwundert es nicht, dass Weidmüller auch für die Zukunft große Pläne mit der Manufacturing Suite hat. So sollen weitere Standorte live gesetzt werden. „Damit skaliert das System und Architektur- und Sizing-Fragen sowie Fragen zu den internen Ressourcen werden hochkommen“, so Markus Frelke. Und wenn weitere Standorte eingebunden werden, ergeben sich vielleicht auch wieder neue Informationen, die die Experten aus dem System ziehen wollen. Dementsprechend steht im Zuge der weiteren Digitalisierung des Shopfloor bei Weidmüller auch eins ganz groß auf der Agenda: ein globales, einheitliches Berichtswesen.

Der Expertentipp

Führen Sie ein solches Projekt gemeinsam mit dem Fachbereich durch, und holen Sie die Mitarbeitenden frühzeitig ins Boot. Nur mit diesen verschiedenen Exper­tisen und Perspektiven lässt sich ein solcher Veränderungsprozess erfolgreich gestalten.
Achten Sie darauf, dass die umzusetzenden Anforderungen übertragbar sind und nicht nur auf einzelne Werke und bestimmte Bereiche zutreffen.
Schreiben Sie keine seitenlangen Lastenhefte und spezifizieren Sie alles bis ins letzte Detail, sondern erarbeiten Sie alles gemeinsam im Projekt.
Beschäftigen Sie sich frühzeitig mit der Maschinenanbindung, denn die Umsetzung kann unter Umständen relativ lange dauern.
Fangen Sie parallel an, die Maschinen in die digitale Welt zu heben – Sie sind hier von unterschiedlichen Herstellern abhängig und müssen gegebenenfalls mit einer unvollständigen Dokumentation rechnen.

Bildnachweis: Weidmüller Interface GmbH & Co. KG, Anna Polywka + shutterstock

Autorin: Julia Theis
blaupause-Redaktion
blaupause@dsag.de

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