Die Pferdestärken auf die Straße bringen

Von der rein technischen Seite war der Umstieg auf S/4HANA für die Schukat electronic Vertriebs GmbH unproblematisch. Die eigentliche Herausforderung bestand darin, die Anwender, die über Jahre eingespielte Abläufe gewohnt waren, von neuen Ansätzen wie dem SAP-Geschäftspartner zu überzeugen.

Die Schukat electronic Vertriebs GmbH verfolgt eine klare Digitalisierungsstrategie. Dafür hat der Distributor für aktive, passive und elektromechanische Bauteile wie Kondensatoren, Transistoren und Relais bereits vor ein paar Jahren die erforderlichen S/4HANA-Lizenzen erworben. Ende 2019 war es dann an der Zeit, auf der Basis von S/4HANA ein Product-Information-Management-System (PIM) aufzubauen, um vor allem die Analytikmöglichkeiten der neuen Technologien zu nutzen.

Analysen und Handel forcieren

Thomas Reichmann, Leiter Supp­­ly Chain Management (SCM) bei der Schukat electronic Vertriebs GmbH

Daher wundert es nicht, dass das zum Prio-A-Projekt wurde. „Eine für uns logische Entscheidung, da die kommenden Enterprise-Resource-Planning (ERP)-Innovationen voraussichtlich nur noch im S/4HANA laufen werden und wir auch prozessuale Verbesserungen möglichst schnell ins System bekommen wollten“, erläutert Thomas Reichmann, Leiter Supp­­ly Chain Management (SCM) bei Schukat und Sprecher des DSAG-Arbeitskreises Großhandel. Ein wichtiger Punkt dabei sind Embedded Analytics (siehe Glossar) mittels Fiori-Apps.

„Es geht darum, schneller an vernünftige Daten für die Mitarbeiter zu kommen und auf dieser Grundlage einen Mehrwert zu generieren“, konkretisiert Thomas Reichmann. Das heißt zum einen, im Bereich Analytics noch besser zu werden und zum anderen, neue Commerce-Lösungen einzusetzen. „Unser Ziel ist eine SAP-basierte, holistische Unternehmens-IT-Landschaft, die voll integriert läuft. Dafür haben wir SAP Customer Cloud und Marketing Cloud gekauft, aber noch nicht im Einsatz. Zudem planen wir, SAP Enterprise Warehouse Management (EWM) zeitnah auf S/4HANA zu migrieren.“

Das technische Upgrade startete im Oktober 2019 und war am 1. Mai 2020 mit dem Live-Gang von S/4HANA abgeschlossen. „Da wir bereits seit 2012 ein einziges ERP 6.0 auf HANA im Einsatz hatten, mussten wir nicht konsolidieren und auch nur sehr wenig modifizieren“, nennt Thomas Reichmann einen Grund für den erfolgreichen Projektverlauf. Außerdem erwies sich der S/4HANA-Leitfaden (siehe wichtige Links) mit den Tipps zum Brown­field-Umstieg als sehr hilfreich.

Schukat electronic Vertriebs GmbH

Schukat electronic mit Sitz in ­Monheim am Rhein ist Distributor für aktive, passive und elektro­me­cha­nische Bauteile. Mit rund 150 Mitarbei­terinnen und Mitarbeitern plus 20 Auszubildenden hat das Unternehmen in 2020 einen Umsatz von 106 Mio. Euro erwirtschaftet.

Gute Unterstützung, aber schwer zu finden

Wichtige Anregungen und Hilfestellungen für das Projekt konnte das Team um Thomas Reichmann zudem aus dem Customer-Care-Programm von SAP ziehen. „Wir waren beim Adoption-Starter-Programm dabei und haben auch Fast Track genutzt. Das ist wirklich richtig gut, was SAP da anbietet“, ist Thomas Reichmann begeistert (siehe Info-Button). Davon könnten noch viel mehr Unternehmen profitieren, ist der SCM-Experte überzeugt – wenn sie besser informiert wären.

„Teilweise ist es leider noch sehr schwer, auf Anhieb all die Informationen zu den Angeboten für den S/4HANA-Umstieg zu finden. Daran muss SAP noch stärker arbeiten“, regt Thomas Reichmann an. Zudem wünscht er sich aus Sicht des Arbeitskreises Großhandel ein klares Best Practice, das vor allem auch hybride Ansätze abdeckt, die eine zunehmend größere Rolle spielen. So ganz ohne Herausforderungen kam auch das S/4HANA-Projekt nicht aus. Einige über die Jahre entstandene Widersprüche in den Bestandsdaten mussten von SAP Consulting beseitigt werden, und die eine oder andere Infrastruktur und Transaktion verweigerte anfänglich den Dienst.

Gewöhnungsbedürftiger Geschäftspartner

Interessant war zudem der Umgang mit dem neuen Geschäftspartner, der in S/4HANA zwingend genutzt werden muss (siehe Glossar). „Das ist durch die technologische und funktionale Brille betrachtet eine absolut richtige Entwicklung. Die Herausforderung bestand größtenteils darin, den Anwendern die einheitliche Betrachtung von Kunde und Lieferant nahezubringen“, erinnert sich Thomas Reichmann. Denn bislang wurden bei Schukat die beiden Bereiche aus organisatorischen Gründen getrennt betrachtet und bearbeitet. Daher erschien der neue Ansatz anfangs vielen als etwas unhandlich. Ähnlich verhielt es sich mit den Fiori-Apps. Es war teilweise ein recht großes „Beharrungsvermögen“ zu beobachten, was alte Benutzeroberflächen betraf.

Das machte sich auch bei den Embedded Analytics in S/4HANA bemerkbar. „Die Mitarbeitenden sind so an ihre Business-Warehouse-Auswertungen und die Strukturen gewöhnt, da muss man schon dicke Bretter bohren, um die Akzeptanz zu erhalten“, weiß Thomas Reichmann zu berichten. Gut, dass das Projekt nur auf die technische Umstellung ausgerichtet wurde. „Wenn man gleichzeitig auch inhaltlich noch etwas bewegen will, wird ein derartiges Projekt auch mal ganz schnell überfrachtet“, ist sich Thomas Reichmann sicher.

Arbeitskreis S/4HANA

Der Arbeitskreis S/4HANA mit seinen mehr als 3.400 Mitgliedspersonen hat die Aufgabe, offene Fragen zu S/4HANA-Funktionen und die Roadmap zu klären sowie die Anforderungen an SAP zu diskutieren, zu fixieren und über die Einflussnahmeprogramme an SAP zu adressieren. Zudem tauscht sich das Gremium mit Unternehmen und anderen Arbeitskreisen über Innovations­potenziale, Projekterfahrungen und das Change-Management aus.

Die Leistungsfähigkeit auf den Boden bringen

Neben diesen Erfahrungswerten hat der SCM-Experte noch weitere Tipps für einen erfolgreichen Umstieg auf S/4HANA parat. So empfiehlt es sich, mit Feature Pack 1 oder höher eines S/4HANA-Releases einzusteigen, um den Umstieg etwas entspannter zu gestalten, „denn in dieser sind Fehler bereits gefixt“, sagt Thomas Reichmann. Außerdem empfiehlt er ein Sandbox-System. Dessen Vorteile: Falls etwas ungeplant schiefgeht – neue Funktionen wie Geschäftspartner etwa – und, um einfach bestimmte Dinge ausprobieren zu können, z. B. Umstellungen in der Zollabwicklung.

Für Thomas Reichmann ist S/4HANA „ein System mit unglaublich viel PS, eine sehr flexible, schnelle und funktional umfassende Lösung“. Aber diese Leistungsfähigkeit muss auch auf die Straße gebracht werden. Daher sieht er im Change-Management die Herausforderung, nicht in der technischen Umsetzung.

Wichtige Links

Commerce Cloud in den Startlöchern

Das Upgrade auf S/4HANA war die Grundlage für alle folgenden Projekte, die nun im Laufe der Zeit nachgezogen werden. Dazu gehört z. B. das Upgrade des SAP Enterprise Warehouse Management (EWM) für die Lagerverwaltung im Dezember 2022. Seit Anfang Feb­ruar dieses Jahres steht aber erst einmal das Commerce-Cloud-Projekt in den Startlöchern. Die Entscheidung für die Commerce Cloud von SAP fiel u. a. vor dem Hintergrund einfacherer Integrationsmöglichkeiten in die bestehende Systemlandschaft. Spielen doch die Schnittstellenthematik und aufeinander abgestimmte Datenmodelle eine wichtige Rolle.

Marcus Warmbier, strategischer Projektleiter und Head of Marketing, bei der Schukat electronic Vertriebs GmbH.

„Für unseren Wachstumskurs ist eine hochskalierbare und flexible Lösung wichtig. Und da wir eine möglichst homogene Systemlandschaft anstreben, die uns Prozess- und Analytikvorteile bietet, war die Entscheidung für die SAP Commerce Cloud schnell getroffen“, erläutert Marcus Warmbier, strategischer Projektleiter und Head of Marketing bei Schukat. Weitere Vorteile sollen durch die Entkopplung von Front- und Backend (Stichwort Head­less Commerce, siehe Glossar) erzielt werden. So gewinnt man z. B. durch die Trennung von Business-Logik und Frontend-Design mehr Freiheiten, um Funktionalitäten im Bestellprozess auszuprägen und umzusetzen.

Arbeitskreis Business Analytics

Der Arbeitskreis Business Analytics ermöglicht seinen über 2.800 Mitgliedspersonen, Wissen über SAP NetWeaver Business Warehouse (SAP NetWeaver BW) in allen Bereichen zu erlangen und Erfahrungen auszutauschen. Ziel ist es, Klarheit in die weitere SAP-BI-Roadmap zu bringen und die daraus entstehenden Anforderungen der Anwender an SAP zu adressieren.

Europäische oder deutsche Lösung bevorzugt

Natürlich wurde im Vorfeld über die Cloud diskutiert, aber stichhaltige Argumente zerstreuten aufkommende Bedenken schnell. „Die entsprechenden Systemzugänge und Verbindungen, Stichwort Virtual-Private-Network (VPN)-Anbindung, werden bestmöglich abgesichert“, fasst Marcus Warmbier zusammen. Arrangiert hat man sich auch mit der Tatsache, dass die Daten bei Microsoft Azure liegen, einem der führenden internationalen Cloud-Anbieter. „Wir würden jedoch eine europäische oder gar deutsche Lösung bevorzugen, die vielleicht sogar von SAP selbst initiiert wird“, hofft Thomas Reichmann auf eine Alternative in der Zukunft.

Glossar

SAP Geschäftspartner

SAP verfolgt den Ansatz, die unterschiedlichen Entitäten zur Abbildung von Geschäftsbeziehungen über eine einzige Entität, den „Geschäftspartner“, abzubilden. Dieser kann über Rollen als Kunde, Lieferant, Mitarbeiter, Kontaktperson, Interessent usw. genauer spezifiziert werden. Der Geschäfts­partneransatz ist in SAP S/4HANA zwingend vorgeschrieben.

S/4HANA Embedded Analytics

S/4 HANA Embedded Analytics bietet eine Kombination aus Technologie und Tools, um Daten im operativen Betrieb in Echtzeit abzurufen, zusammenzufassen und übersichtlich aufzubereiten.

Headless Commerce

Ein Headless-Commerce-System ist ein reines Back-End-Content-Management-System, das hauptsächlich als Content-Speicher dient. Ein kopfloses CMS ermöglicht den Zugriff über eine API, um Inhalte auf jedem Gerät ohne integrierte Front-End- oder Präsenta­tionsebene anzuzeigen.

Aufgaben schrittweise umsetzen

Im ersten Schritt wird auf eine verbesserte Nutzerführung, umfangreichere Suchmöglichkeiten sowie eine optimierte Artikelpräsentation und Analytik fokussiert. Erweiterte Lösungen, u. a. rund um die Themen Payment oder Personalisierung, sollen im darauffolgenden Schritt 2 umgesetzt werden. Natürlich muss auch die Integration in S/4HANA in diesem frühen Projektstadium umgesetzt werden, um die notwendigen Datenflüsse bereits in einer frühen Phase des Projektes sicherstellen zu können. Mittelfristig soll ein zentrales Interaktions-Kommunikations-Portal für die Zusammenarbeit mit den Kunden entstehen.

Bildnachweis: Shutterstock, Schukat electronic Vertriebs GmbH

Thomas Kircher

Autor: Thomas Kircher
blaupause-Redaktion
blaupause@dsag.de

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