DSAG-Personaltage 2024

HR-Zukunftstrends – worauf sich Personalverantwortliche einstellen sollten 

DSAG-Personaltage 2024: HR-Zukunftstrends – worauf sich Personalverantwortliche einstellen sollten 

Dass sich die HR-Branche seit Jahren im Umbruch befindet, ist bekannt. Zahlreiche HR-Trends begleiten die Personalverantwortlichen in jedem Jahr. Wohin aber geht die Reise langfristig? Wie verändert sich Arbeit sowie deren Rahmenbedingungen? Und was heißt das für HR-Abteilungen? Die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG) spricht dazu mit Stefan Scheller, auch bekannt als „der Persoblogger“, der bei den diesjährigen DSAG-Personaltagen in Osnabrück am 04. Juni dazu eine Keynote mit dem Titel „HR-Zukunftstrends – worauf sich Personalverantwortliche einstellen sollten halten wird.

Stefan Scheller, Top-HR-Influencer und Gründer von PERSOBLOGGER.DE, einer der bekanntesten deutschsprachigen HR-Websites. Er nimmt bei den DSAG-Personaltagen HR-Zukunftstrends unter die Lupe und gibt Tipps, worauf sich Personalverantwortliche einstellen sollten.
Stefan Scheller, Top-HR-Influencer und Gründer von PERSOBLOGGER.DE, einer der bekanntesten deutschsprachigen HR-Websites.

Herr Scheller, Sie beschäftigen sich seit über zehn Jahren intensiv mit der Entwicklung von HR. Einerseits aus Sicht einer Personal-Führungskraft im IT-Unternehmen DATEV, andererseits als Szene-Kenner und HR-Blogger. Wohin geht die Reise in 2024? 

Stefan Scheller: Die Frage nach den HR-Trends für 2024 wird aktuell wieder sehr häufig gestellt. Zahlreiche Artikel erscheinen in der einschlägigen Fachliteratur und auch die Keywords „HR-Trends 2024“ sind beliebt unter Bloggern. Ich habe dazu mittlerweile ein eher zwiegespaltenes Verhältnis.  

Selbstverständlich gibt es immer wieder jahresbezogene Themenschwerpunkte. Diese würde ich allerdings eher an neuen gesetzlichen Regelungen oder bedeutenden Urteilen mit Auswirkungen auf die HR-Welt festmachen, da diese dann tatsächlich einen Jahresbezug haben bzw. ab einem gewissen Zeitpunkt aktuell werden. Schöne Beispiele für tatsächliche HR-Trends waren meiner Meinung nach das Inkraftsetzen des Allgemeine Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) oder das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum dritten Geschlecht. 

Ansonsten bin ich eher vorsichtig Jahrestrends zu formulieren. Deutlich spannender sind da Langzeitentwicklungen. 

Wie schätzen Sie das Interesse der Personalverantwortlichen an solchen Langzeittrends ein? 

Das ist in der Tat eine spannende Beobachtung, die sie hier ansprechen. Ich merke das beispielsweise an den Aufrufzahlen von Fachartikeln auf meinem HR-Portal PERSOBLOGGER.DE. Strategie- und Langzeitentwicklungen werden deutlich schlechter geklickt als beispielsweise sofort umsetzbare Power-Hacks, zum Beispiel rund um die Bewältigung des Fachkräftemangels – eines meiner persönlichen Kernthemen. 

Denken Sie, HR ist zu operativ unterwegs? 

Leider häufig ja. In der Regel fahren Personalabteilungen dauerhaft unter Volllast. Die operativen Anforderungen im Bereich Personalgewinnung, Beratung von Mitarbeitenden, Entgeltabrechnung und vieles mehr, lasten die HR-Kapazitäten in den meisten Unternehmen komplett aus. Für strategische Entwicklung, Zukunftsthemen oder Langzeit-Trends bleibt da häufig wenig Zeit.  

Auch muss ich immer wieder feststellen, dass im HR der Fokus stets auf die Weiterentwicklung der eigene Fachexpertise gelegt wird und weniger Interesse an den übergeordneten Zusammenhängen besteht. Und gerade Nicht-HR-Themen sind es aktuell, die am meisten Einfluss nehmen auf unsere zukünftige Agenda – mal abgesehen vom Langzeit-Thema Fachkräftemangel. 

Sie glauben daran, dass der Fachkräftemangel Unternehmen tatsächlich langfristig fordern wird? 

Den Begriff „Fachkräftemangel“ mag vermutlich schon bald niemand mehr hören. Begleitet das Phänomen Personalverantwortliche nunmehr doch schon einige Jahre und sorgt für ordentlich Kopfzerbrechen. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass HR-Mitarbeitende in einem Unternehmen nicht den volkswirtschaftlich beklagten Fachkräftemangel lösen müssen. Es geht einzig darum, dass im Wirkungskreis des eigenen Unternehmens – inkl. dessen Ökosystems, z.B. aus Zulieferern – genügend qualifiziertes Personal tätig ist. Und daran lässt sich auch als HR-Organisation arbeiten. Die demografischen Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt allgemein, bei denen in den nächsten Jahrzehnten Millionen von Arbeitskräften fehlen, sind in Summe durch einzelne Unternehmen nur schwerlich beinflussbar. 

Eine interessante Einschätzung. Aber gibt es durch die wirtschaftliche Abkühlung oder Entwicklungen eine gewisse Entlastung? 

Beide Faktoren mögen tatsächlich einen Kontra-Effekt starten und dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Allerdings müssen wir dabei beachten, dass die Konjunkturschwäche in einigen Jahren überwunden sein wird – der demografische Effekt hingegen entfaltet eine Langzeitwirkung. Hier werden wir über radikalere Lösungen sprechen müssen, zum Beispiel im Bereich Digitalisierung/Künstliche Intelligenz (KI), Nutzung des kompletten Erwerbstätigen-Spektrums sowie über Zuwanderung. 

Auch bedarf es einer ganzheitlicheren Betrachtungsweise der Mitarbeitenden in Unternehmen. Denn dorthin bislang neue benötigten Skills meist extern auf dem Arbeitsmarkt rekrutiert wurden, treten neue Modelle von Up-/Reskilling im Unternehmen sowie eine Flexibilisierung der Workforce insgesamt.  

Was heißt das konkret? 

Recht vereinfacht gesprochen könnte man sagen „Weiterbildung und Umschulung ist das neue Recruiting“. Allerdings wäre das insgesamt zu kurz gedacht. Es stellt sich doch die Frage, ob Unternehmen zukünftig immer nur über die Rolle „festangestellte Mitarbeitende“ nachdenken oder auch fluidere Zusammenarbeiten mit Freelancer:innen, Spezialdienstleistern oder Projektarbeitenden in Betracht zieht. 

Die klassische unternehmerische „Make or Buy“-Entscheidung muss auch HR immer stärker treffen. Darüber hinaus sollten wir HR-Verantwortliche im Blick haben, wie viel innerbetriebliche Mobilität tatsächlich möglich ist und was wir personalseitig dafür tun müssen. Interne Wechsel gehen dabei in der Regel einher mit einem erhöhten Qualifizierungs- und Weiterbildungsbedarf.  Und auch hier muss HR umdenken. 

Sie meinen beim Thema Personalentwicklung und Lernen? Was verändert sich dort? 

Genau. Hier sehen wir am Markt gerade die größten Veränderungsbewegungen. Durch die immer kürzer werdenden Zyklen, in denen Skills benötigt beziehungsweise wieder obsolet werden, muss sich unser Lernen – als Mitarbeitende sowie als gesamte Organisation – massiv verändern. 

Wie meinen Sie das konkret? 

Wenn Sie mit dem Aufkommen von generativer künstlicher Intelligenz wie ChatGPT und Co davon ausgehen, dass Sie Rollen wie „KI-Trainer:innen“ benötigen oder sogenannte „Prompting-Experts“, dann können Sie dieses Skills natürlich auf einem völlig überhitzten Arbeitsmarkt zu teuren Preisen beziehen. Sie können aber auch unternehmensintern in Zukunftstechnologie investieren und Mitarbeitende schrittweise in diese Richtung führen. 

Aber, und jetzt kommt das Wesentliche: Wir können ebenso davon ausgehen, dass diese Fähigkeiten nur temporär und bis zu einem gewissen Grad benötigt werden. Denn die Weiterentwicklung künstlicher Intelligenz wird dafür sorgen, dass Prompting irgendwann auch „kinderleicht“ wird.  Das sieht man an Trends wie Low-Code- oder No-Code-Anwendungen. Wenn also auch Nicht-Informatiker:innen Software-Code erzeugen können – zusätzlich unterstützt durch immer besser werdende generative KI-, dann verlieren viele Experten-Skills, die uns heute noch als essenziell wichtig erscheinen, perspektivisch schon wieder deutlich an Bedeutung. 

Über welche Zeitstrecke sprechen wir hier? 

Das lässt sich seriöserweise nicht konkret beantworten. Es ist allerdings auch unerheblich. Denn die eigentliche Botschaft lautet: Wir müssen uns heute damit beschäftigen, wie wir in Zukunft unsere Arbeitsergebnisse als Unternehmen erbringen. HR-Verantwortliche müssen als Teil der strategischen Unternehmenssteuerung dabei sein, wenn die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Denn zu glauben, dass vorhandene Beschäftigte automatisch in die neuen Rollen und Aufgaben hineinwachsen werden, ist illusorisch. Stattdessen bedarf es massiver Investitionen in Lernen. 

Und dieses Lernen wird zuerst einmal das Lernen selbst umfassen: Lernen-Lernen wird eine wichtige Zukunftskompetenz sein, die HR-Verantwortliche im Unternehmen unterstützen müssen.

Helfen da noch die klassischen Werkzeuge und Methoden im Bereich Corporate-Learning? 

Genau das ist der Punkt! Wir haben schon in den letzten Jahren gemerkt, dass klassische mehrtägige Schulungen vor Ort nicht das Non-plus-ultra sind. Blended Learning-Trends haben den Markt erobert. Und zukünftig wird es hier noch weitergehen: selbstgesteuertes Lernen, beispielsweise in Lern-Circlen, mittels Lernreisen, via gamifiziertem Online-Training, Peer- oder Community-Learning und offene Lernformate im Stile von BarCamps werden zur Normalität in modernen Unternehmen werden. HR-Bereiche führen neben Hackathons zwischenzeitlich bereits sogenannte Promptathons durch, um den Umgang mit generativer KI spielerisch ins Unternehmen zu tragen. 

Auch würde ich gerne die erhöhte Verantwortung der Mitarbeitenden im Unternehmen ansprechen, sich selbst ggf. auch privat auf dem Laufenden zu halten. Bei der heutigen Entwicklung ist es kaum vorstellbar, dass vor allem kleinere Unternehmen für ihre Beschäftigten stets das volle Weiterbildungsprogramm werden bereitstellen können. 

Das klingt nach einer Menge an Veränderungen, die uns Menschen bekanntermaßen nicht immer leichtfällt. Welche Tipps haben Sie abschließend für HR-Verantwortliche, die sich diesen Themen stellen wollen? 

Meiner Meinung nach ist der erste wichtige Schritt die Bewusstmachung, dass HR-Arbeit sich massiv verändern, ja transformieren wird, und wir Schritthalten müssen. Bei aller rasanten Entwicklung gibt es allerdings keinen Grund zur Panik. Selbst wenn wir uns in immer kürzeren Zyklen auf Neues einstellen müssen, lässt sich das als HR-Bereich dennoch vergleichsweise systematisch gestalten. 

Wichtig dafür ist ein klares Zielbild einer veränderungsfähigen lernenden Organisation, das breit kommuniziert und den Mitarbeitenden gegenüber erlebbar gemacht wird. Dies gibt Halt und ist unverzichtbar. Ansonsten werden Organisationen – wie bisher – reaktiv und ad-hoc auf externe Entwicklungen hin Kurskorrekturen vornehmen. Sind diese jedoch Teil der neuen DNA der (HR-)Organisation, wird der Grundstein für den eigenen Veränderungswillen und die Veränderungsfähigkeit bereits gelegt. 

Welche Rolle kommt Führungskräften hier zu? 

Führungskräfte können dabei befähigen, Mut zusprechen und unterstützen, das Zielbild einer resilienten und veränderungsfähigen sowie veränderungsbereiten Organisation zu erreichen. Hierfür braucht es definitiv Wertschätzung, Vertrauen in die Menschen sowie dauerhafte intensive Kommunikation. Zusammen mit den durch HR gesetzten allgemeinen Rahmenbedingungen für die Arbeit sollte es dann gelingen, Unternehmen erfolgreich in die Zukunft zu führen. 

Vielen Dank für Ihre Einschätzungen sowie das spannende Gespräch!