Wandel als Erfolgsfaktor

Wandel

„Man schafft niemals Veränderung, indem man das Bestehende bekämpft. Um etwas zu verändern, baut man neue Modelle, die das Alte überflüssig machen“, sagte Visionär Richard Buckminster Fuller einst. Mit der Einführung von S/4HANA hat die Freudenberg Holding genau das getan. Credo: Die Chance im Change erkennen.

Christine Tussing, Director Process & Digital Technology Management bei Freudenberg & Co. KG

Für die Corporate IT der Freudenberg-Holding-Gesellschaften sind Themen wie die Transformation des eigenen Business mit all ihren Herausforderungen Treiber des täglichen Handelns. Daher fragen sich Christine Tussing, Director Process & Digital Technology Management, und ihr Team stets, wie sie sich verändern und transformieren können und wo die Reise für die IT hingehen kann. „Diese Fragen treiben uns um. IT ist längst viel mehr als Kabel oder Clients. IT befeuert den Wandel und die Veränderung von Prozessen und lässt gleichzeitig die Anforderungen an die benötigten Skills wachsen“, so Christine Tussing.

Das Alte loslassen

Einen entscheidenden Schritt, das eigene Business zu transformieren, ist Freudenberg Corporate mit der Greenfield-Einführung von S/4HANA gegangen, von der nun rund tausend Benutzer profitieren. Ausgangslage waren verschiedene, in die Jahre gekommene SAP-ERP-Landschaften mit veralteten Release-Ständen und Enhancement-Package-Versionen. Zudem gab es diverse Legacy-Systeme. Ziel der Implementierung war es zum einen, die Technologieplattform zu wechseln. Zum anderen sollten Prozesse neu gestaltet und eine Governance-Organisation aufgebaut werden, um das Ganze nachhaltig zu verankern. Der Plattformwechsel war dabei die geringste Hürde. „Schwieriger war es, das Alte los- und sich auf etwas Neues einzulassen. Hier war die Governance-Organisation wichtig, um die Business- sowie die IT-Seite als Prozessorganisation zusammenzubringen“, so Christine Tussing. Das war ein wesentlicher Bestandteil des Projekts, und dafür hat sich das Projektteam viel Zeit genommen.

Sechs Monate investierten sie in das Prozess-Reengineering. Die Fachbereiche wurden stark eingebunden. „Wir haben von Anfang an klar kommuniziert, dass die S/4HANA-Einführung kein reines IT-Projekt ist“, sagt Christine Tussing. So wurde gemeinsam festgelegt, welche Prozesse abgebildet werden müssen und analysiert, was Veränderungen in einzelnen Prozessbereichen bedeuten würden, die zum damaligen Zeitpunkt vielleicht auch noch nicht bekannt waren. „Auch das Organisatorische hatten wir auf der Agenda. Wir haben geschaut, wo wir Systeme abschalten, wo wir Prozesse hinterfragen müssen“, so Christine Tussing.

Freudenberg & Co. KG

Freudenberg ist eine Unternehmensgruppe in Familienhand. Der in Weinheim ansässige Konzern ist als Zulieferer verschiedenster Branchen tätig. Mit der langjährigen Material-, System- und Technologiekompetenz und dem Know-how von Spezialisten in rund 60 Ländern weltweit entwickelt Freudenberg unter anderem Dichtungen, schwingungstechnische Komponenten, Vliesstoffe, Filter, Spezialchemie, medizintechnische Produkte und modernste Reinigungsprodukte. Die 48.851 Mitarbeitenden der Unternehmensgruppe erwirtschafteten 2019 einen Umsatz von 9,47 Mrd. Euro.

Neue Wege im Einkauf

Ganz neu gedacht hat man z. B. im Einkauf. Hier wurde ein zentrales Einkaufs-Team aufgebaut, sodass jeder Mitarbeitende eine Bestellanforderung absetzen kann und diese über das zentrale Einkaufs-Team verwaltet und umgesetzt wird. Bestellungen via Telefon, Excel oder E-Mail wichen einem systemunterstützten und -gesteuerten Prozess, den jeder Anwender starten kann. So wurde auch die Quote der bestellbasierten Rechnungseingänge erhöht. „Außerdem haben wir ein Cross-Service-Team aufgebaut. Hier werden Stammdaten zentral über das SAP-Ticketing-Tool Shared Service Framework erfasst“, erläutert Christine Tussing und ergänzt: „Dieses Service-Team ist gleichzeitig eine zentrale Verrechnungsstelle, die automatisiert Rechnungen oder Fakturierungsleistungen abbildet.“ Früher wurden diese Tätigkeiten innerhalb des Unternehmens in verschiedenen Bereichen parallel ausgeführt.

Produkte von Freudenberg sind häufig nicht als solche erkennbar. So sind sie z. B. in Verkehrsmitteln oder Radialwellendichtungen in Pkw-Motoren anzutreffen. Allgemein bekannte Produkte sind hingegen die Vileda-Reinigungsartikel.

Doch der Weg zu mehr Automatisierung war herausfordernd – auch aufgrund der Organisation der Freudenberg Holding. Sie besteht aus mehreren, kleineren legalen Entitäten, die autark voneinander agiert haben. „Hier ein Governance-Layer zu legen und zu sagen: ‚Wir haben jetzt standardisierte Prozesse und keine fünf Varianten mehr für eine Bestellung oder für den gleichen Berechnungsprozess.‘ Das war ein riesiger Change“, so Christine Tussing.

Neue Suite überzeugt

Als Freudenberg 2017 S/4HANA angegangen ist, war noch nicht abzusehen, ob die Suite der richtige Weg sein würde. „Damals hat S/4HANA unsere Erwartungen noch nicht erfüllt. Es war einfach keine große Veränderung zu einem R/3-System erkennbar. Ein Anwender hat nach dem Technologiewechsel im Backend keinen großen Unterschied zu einem ECC-System feststellen können“, bewertet Christine Tussing. Zum damaligen Zeitpunkt hatten gewisse Prozesse oder Fiori-Applikationen noch nicht den Reifegrad, um sie tatsächlich effizient einsetzen zu können. Jetzt lassen sich jedoch echte Vorteile identifizieren, wenn es um priorisierte Transaktionen und Anwendungen oder das User-Interface geht. „Wenn ich mir heute S/4HANA mit Release-Stand 1909 anschaue, hat die Suite unsere Erwartungen erfüllt“, urteilt Christine Tussing. Der maßgebliche Nutzen liegt vor allem in der Möglichkeit der Simplifizierung über die Fioris, in den angepassten Prozessen, in der Geschwindigkeit und in den Prozessinnovationen.

In vielen Prozessbereichen profitiert Freudenberg Corporate von einer schlankeren Prozessführung, einfachen Oberflächen und der Möglichkeit, stärker zu interagieren. Dass standardisierte Robotics-Services mitgeliefert werden und einfach integriert werden können oder Machine-Learning und Chat-Bots als natives Kommunikationsmedium für den Endanwender auf die Agenda genommen werden können, spricht für die Gesamtlösung. „Wir haben heute einen viel höheren Integrationsstand als direkt nach der Implementierung. Wir merken, dass SAP dazu gelernt hat“, sagt Christine Tussing. Das gilt übrigens auch hinsichtlich der Zusammenarbeit. „Wir haben damals sehr früh transformiert und haben uns nicht immer abgeholt gefühlt, weil unsere Problematiken SAP einfach noch nicht bewusst waren. Wir haben zusammen gelernt“, so die IT-Expertin.

Hausaufgaben erledigen

Und die ersten echten Kinderkrankheiten von S/4HANA-Release 1606? Die hat SAP inzwischen ebenfalls geheilt. „Es gibt heute, abgesehen natürlich von fehlenden Funktionen, keinen Grund, nicht auf S/4HANA zu gehen. Vor dem reinen Wechsel der Technologieplattform muss niemand Angst haben“, sagt Christine Tussing und ergänzt weiter: „Wer in die SAP-Roadmap schaut, merkt schnell, dass es notwendig ist, sich besser früh als spät mit S/4HANA zu beschäftigen – insbesondere, wenn ich von Innovationen profitieren will.“ Dennoch sollten Unternehmen vor einer S/4­HANA-Einführung erst ihre Hausaufgaben machen: „Nehmen Sie sich ausreichend Zeit, um Transformation nachhaltig zu definieren und zu verankern. Es ist eine Veränderung – und die muss auch in den Köpfen stattfinden.“

Arbeitskreis S/4HANA

Im Arbeitskreis S/4HANA beschäf­tigen sich mehr als 3.300 Mitglieder mit dem Thema aus strategischer Sicht. Sie diskutieren Vorteile und Innovationspotenziale von S/4HANA und tauschen Erfahrungen zu Migra­tionswegen im Greenfield oder Brownfield aus. Gleichermaßen vermittelt der Arbeitskreis Informationen zu den vorbereitenden Maßnahmen für eine S/4HANA-Migration.

In Change-Management investieren

Benötigt werden Menschen, die die neuen Technologien und das Zusammenspiel verschiedenster Lösungen verstehen. „Sie müssen sich bewusst sein, dass sich die Art der Zusammenarbeit ändern wird“, so die Expertin. S/4HANA ist bezogen auf den Transformationsprozess wichtig. Doch ein gutes Change-Management ist ein kritischer Erfolgsfaktor. Das gilt insbesondere bei einem Greenfield-Ansatz. „Bei einem Brownfield-Ansatz würde wahrscheinlich eher zuerst ein technisches Upgrade gemacht und hinterher die Prozesse optimiert werden. Bei einem Greenfield-Ansatz hingegen müssen erst Hürden überwunden werden – da braucht es auch ein klares Commitment des Top-Managements“, erläutert Christine Tussing.

Fit mit TRANS/4RM

Freudenberg ist ein globales Technologieunternehmen, das laut eigenen Angaben seine Kunden und die Gesellschaft durch wegweisende Innovationen nachhaltig stärkt. Gemeinsam mit Partnern, Kunden und der Wissenschaft entwickelt die Unternehmensgruppe technisch führende Produkte, Lösungen und Services für rund 40 Marktsegmente.

In Folge der Erfahrungen der S/4HANA-Einführung entwickelten Freudenberg, SAP und die DSAG-Academy das Transformationsprogramm TRANS/4RM, um Kunden zu helfen, die vor ähnlichen Herausforderungen und Projekten stehen. Im Fokus sollen die Ausbildung der Mitarbeitenden auf dem Weg zu S/4HANA und das entsprechende Enablement stehen. Konkret geht es um die Frage, was ein S/4HANA-Inhouse-Consultant wissen und wie er aufgestellt sein muss, um erfolgreich rund um S/4HANA beraten zu können. „Es geht darum zu verstehen, welche Anforderungen es gibt, welche Möglichkeiten zur Prozessmodellierung, wie die Architektur aussehen kann, das Verständnis der Fiori-Methodologie. Kurzum: Wie mache ich aus einem R/3-Berater einen S/4HANA-Berater“, sagt Christine Tussing.

Wichtig ist, dass ein solcher Berater versteht, welche Bedürfnisse der User oder Kunde hat. „Wir haben seit unserer S/4HANA-Einführung viel mit SAP darüber diskutiert“, so Christine Tussing. Immer wieder kamen die Fragen auf: Wie und wo begleitet denn in einem Kundenprojekt der SAP-Enterprise-Architekt, der die Integrationsproblematiken und die neuen Herausforderungen versteht? Wo sind die S/4HANA-Berater, die sowohl die Benutzeroberflächen als auch die Fioris und Ende-zu-Ende-Prozesse verstehen und integrieren? Wo sind die Menschen, die außerhalb der bekannten Silos denken? Wie bilden wir diese Menschen aus? Es ist allen Beteiligten bewusst, dass hier noch einiges nachzuarbeiten ist – sowohl auf Kunden- als auch auf SAP-Seite. Die SAP, die DSAG-Academy und Freudenberg haben an einem passenden Curriculum für diese notwendigen Transformationsaufgaben gearbeitet – nah am Business, nah am Kunden. Mit diesem Konzept möchte Freudenberg andere Unternehmen von seiner Erfahrung profitieren lassen und es ihnen erleichtern, den Weg nach S/4HANA zu gehen. Und wer weiß, vielleicht berichten diese dann in der nächsten blaupause über ihre Erfahrungen …

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Bildnachweis: Freudenberg & Co. KG, Anna Polywka + shutterstock

Autorin: Julia Theis
blaupause-Redaktion
blaupause@dsag.de

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