Auf den Spuren von RISE und GROW with SAP

Interview mit Jan Gilg zu RISE with SAP und GEOW with SAP

RISE with SAP und GROW with SAP sollen die Unternehmen bei der digitalen Geschäftstransformation bzw. der Cloud-ERP-Einführung unterstützen. Im exklusiven DSAG-Interview berichtet Jan Gilg, Head of Product & Engineering ERP & Supply Chain bei SAP, über den Mehrwert von RISE with SAP und GROW with SAP.

Herr Gilg, können Sie uns bei der Klarstellung helfen, was RISE und was GROW ist?

Jan Gilg, Head of Product & Engineering ERP & Supply Chain, SAP

Jan Gilg: Mit RISE und GROW haben wir zwei verschiedene Modelle mit unterschiedlichen Zielgruppen. Am Ende liegt die Entscheidung beim Kunden, welches Modell er möchte. GROW ist ein reines Software-as-a-Service (SaaS)-Modell. Da weiß der Kunde, dass er die Software mit vordefinierten Prozessen bekommt, die sich an Best Practices orientieren. Und er hat im Rahmen der von SAP vorgegebenen Erweiterbarkeit die Möglichkeit, auch Dinge zu verändern. Es hilft Kunden dabei sehr nah am Standard zu bleiben, schnell zu implementieren. Aber wie bei jeder SaaS-Lösung, kann der Kunde den ausgelieferten Code von SAP nicht verändern.

Worin unterscheidet sich RISE with SAP?

Gilg: RISE with SAP ist ein sehr spezifisches Angebot für unsere Großkunden, die schon sehr lange bei uns sind und sich mit einem hochstandardisierten SaaS-Modell schwertun. Meist benötigen sie gewisse Sonderlocken, sei es Custom Code oder die Möglichkeit etwas zu verändern, andere selbstgesteuerte Upgrade-Zyklen usw. Insofern ist es erstmal die Entscheidung des Kunden, was er eigentlich möchte. Wir sehen, dass ein großes Marktsegment sich auch im Bereich Enterprise-Resource-Planning (ERP) für ein SaaS-Modell entscheidet, vor allem im Bereich Services. Im Manufacturing noch nicht so stark, weil es dort einfach sehr viel Individualisierung gibt. Deshalb ist das für uns als Anbieter eine strategische Plattform, die wir auch weiterentwickeln werden.

Muss sich der Kunde denn immer zwischen beiden Angeboten entscheiden?

Gilg: Gerade die großen Kunden entscheiden sich häufig für einen hybriden Weg, d.h. eine zentrale Instanz läuft in der SAP S/4HANA Private Cloud und einzelne Tochtergesellschaften auf der SAP S/4HANA Public Cloud, für einfachere, schnellere Geschäftsmodelle, bei denen ein SaaS-Modell sehr gut passt. Deshalb stellen wir auch sicher, dass die zwei, auch wenn es unterschiedliche Produkte sind, eine semantische Kompatibilität haben und integrierte Prozesse, die wir vordefinieren, funktionieren. (Weitere Informationen in SAP for Me.)

Wenn SAP möchte, dass die Kunden den Weg in die Cloud gehen, warum gibt es dann nicht nur eine Software-Variante?

Gilg: Wenn es nach uns gegangen wäre, und das haben wir 2015 auch so artikuliert, hätte es nur SaaS gegeben. Aber auch wir lernen dazu. Wir haben gesehen, dass es manchmal einen zu großen Sprung für Kunden bedeutet und den Kunden zu viel abverlangen würde, direkt auf ein SaaS-Modell zu gehen. Gerade unsere Bestandskunden haben besondere Bedürfnisse. 99 der 100 größten Unternehmen sind SAP-Kunden. Das ist ein eigenes Marktsegment und sie sind seit 20, 30 Jahren bei SAP. Dementsprechend haben sie eine Komplexität, die man nicht so eben in ein hochstandardisiertes SaaS-Modell umwandeln kann von heute auf morgen. Deshalb haben wir die Private Cloud, um den Kunden Cloud-Qualitäten anzubieten, aber auch Freiheiten zu lassen davon abzuweichen. Wichtig ist aber, dass wir auch in der Private Cloud versuchen, so viel Standardisierung wie möglich zu gewährleisten, den Kunden zu helfen, auf dem letzten Release zu sein und ihren Custom Code aktiv zu managen. Dafür haben wir das Programm „RISE with SAP Migration and Modernization“ gelauncht.

Wird es die S/4HANA Private Cloud Edition (PCE) immer geben?

Gilg: Ich denke es wird die Private Cloud auf unabsehbare Zeit geben. Wenn ich die Implementierungszeit und die Kosten sehe, gerade bei den großen Konzernen, da reden wir von ERP-Zyklen von 10, 15 Jahren. Und deshalb haben wir auch dort eine Innovations-Roadmap. Allerdings adoptieren auch diese Kunden immer mehr SaaS-Capabilities. Das wird aber alles evolutionärer werden, also eher nach dem Motto, ich nehme mehr und mehr Teile aus dem Core raus und schiebe sie schrittweise in ein SaaS-Modell. Anstatt den kompletten Core zu nehmen und nochmal eine Re-Implementierung auf einem SaaS-Modell durchzuführen. Deshalb wird es die Private Cloud denke ich sehr, sehr lange geben. Und wie bei jeder Cloud-Software gibt es in dem Sinne kein Ablaufdatum. Das Einzige, was wichtig ist in dem Kontext, ist das Thema der Releases. Wir haben ein großes Interesse daran und werden hier wie gesagt auch stärker mithelfen, dass die Kunden auf dem aktuellen Release sind bzw. maximal eines zurück. Das ist eigentlich immer ein „Evergreen“ in der Cloud. Was wir nicht machen können, ist unzählig viele Releases ewig lange supporten. Deshalb sind wir auch auf fünf Jahre zurückgegangen bei S/4HANA.

Wie grenzt sich PCE von der SAP HANA Enterprise Cloud (HEC) ab und wie skaliert SAP?

Gilg: HEC war ein reines Hosting-Modell, ein reines Infrastrukturangebot. Skalieren können wir u.a. über Subkontrakte. Aber natürlich sind wir der Ansprechpartner für die Kunden. Und auch da haben wir dazugelernt. Wir haben damals etwas unterschätzt, was es bedeutet, eine Mission Critical Workload für die Kunden zu managen. Das hat sich sehr stark geändert, seitdem Peter Pluim die Leitung unserer Cloud-Enterprise-Services übernommen und das Ganze professionalisiert hat. Mittlerweile betreiben wir die größte ERP-Private-Cloud der Welt und haben damit einen Scale und auch Erfahrungsschatz, den ein individueller Kunde aus meiner Sicht gar nicht replizieren kann. Deshalb sind wir fest überzeugt, dass eine von SAP gemanagte Cloud, ob private oder public, genau das richtige für unsere Kunden ist, um sie zukunftssicher zu unterstützen.

Wie passt S/4HANA in die langfristige Vision von SAP, besonders in Bezug auf neue Technologietrends und die sich verändernden Anforderungen von Unternehmen?

Gilg: SAP ist eine ERP-Firma und SAP S/4HANA Cloud ist unser Kernprodukt. Von dort können wir wachsen und außen rum starke Line-of-Business (LoB)-Lösungen anbieten, die eng integriert funktionieren im Sinne einer Cloud-ERP-Suite. Diese modulare Suite ist die Lösung der Zukunft und da sind die Industrien nach wie vor sehr wichtig. Mit unserem umfassenden Portfolio und unserer Kundenbasis differenzieren wir uns auch in der Zukunft vom Wettbewerb. Und Business AI, sprich die Nutzung von Künstlicher Intelligenz im Kontext funktionaler Innovation zur Verbesserung von Prozessabläufen, wird ein Game-Changer werden für SAP-Cloud-Kunden.

Was sind die aktuellen Hauptherausforderungen der DSAG-Mitgliedsunternehmen auf dem Weg zu S/4HANA?

Gilg: Wir befinden uns nach wie vor in volatilen Zeiten, in denen Unternehmen Investitionen eher scheuen. Allerdings liegt auch genau da der Hebel. Wenn ich in diesen disruptiven Zeiten als Unternehmen nicht schnell genug auf Marktänderungen eingehen kann, werde ich abgehängt. Da müssen Unternehmen umdenken. Es ist aber auch klar, dass eine Transformation mehr weh tut als lediglich ein System-Update.

Den Business-Case für eine S/4HANA-Implementierung festzuhalten, ist nicht einfach, weil „Zukunftssicherheit” schwer quantifizierbar ist. Wir haben den TCO-Calculator, der die Kosten der technischen Implementierung berücksichtigt. Ich denke der eigentliche Business-Case ist doch aber die Transformation der Firma. Denn wenn ich diese nicht mache, bin ich als Fima nicht mehr wettbewerbsfähig bzw. kann einfach nicht schnell genug auf die ganzen Marktveränderungen reagieren.

Der Investitionsstau der Vergangenheit macht den Weg manchmal fast unerreichbar. Wie hilft SAP den Kunden, damit aus den Projekten mehr als ein „Lift & Shift“ wird?

Gilg: An dieser Problematik setzt unser RISE-Angebot an, das wir nun um das RISE-with-SAP-Migration-and-Modernization-Programm erweitert haben. Da lernen wir viel aus der SaaS-Welt. Wir unterstützen die Kunden nicht nur mit der richtigen Software, sondern auch mit den notwendigen Services zusammen mit unserem Partner-Ecosystem für ein Transformationsprojekt. Wenn man die Kosten der Lizenzen, mit denen der Dienstleistungen vergleicht, ist die Software nur ein kleiner Teil. Die eigentlichen Kosten liegen in der Standardisierung von Prozessen, was meist sehr zeitintensiv ist, im Nachhinein aber auch die Ersparnis bringt. Je größer der Kunde, desto schwieriger sind solche Projekte.

Was entgegnen Sie diesen Kunden?

Gilg: Wir haben das Feedback der User-Groups und damit unserer Kunden im letzten Jahr sehr ernst genommen und entsprechend reagiert. Das zeigt sehr deutlich, dass wir keinen Kunden zurücklassen. Mit dem RISE-with-SAP-Migration-and-Modernization-Programm adressieren wir gezielt die größten Hürden, warum Kunden noch zögern in die Cloud zu gehen: Die Optimierung grundlegender Geschäftsprozesse und Kosten, die mit einer Migration verbunden sind. Das Programm umfasst ein Set an Ressourcen, Services und finanziellen Anreizen, abgestimmt auf die Ausgangssituation des Kunden. Es ist ein befristetes Angebot, mit dem Unternehmen die Migrationskosten um bis zu 50 Prozent verringern und so eine schnellere Wertschöpfung erzielen können.

Wie sieht SAP die Rolle von künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen in der Zukunft von S/4HANA – und wie integriert SAP diese Technologien, um den Nutzen für die Kunden zu maximieren?

Gilg: Wir haben von über 20.000 Kunden die Zustimmung, ihre Daten für die Weiterentwicklung unserer Produkte zu nutzen. Das ist ein riesiger Pool an strukturierten Daten mit unschätzbarem Wert, weil diese Daten ganze globale Wertschöpfungsketten abbilden. Davon lebt KI. Das ist für SAP absolut differenzierend, weil keiner das nachbauen kann. Wir haben gesehen, dass die Nutzung von KI in On-Premises nur bedingt sinnvoll ist. Darüber hinaus wird GenAI im Bereich der User-Experience die Interaktion mit der Software enorm verändern und vereinfachen. Wir werden deshalb beim digitalen Assistenten eine viel stärkere Adoption sehen als bisher. Es ist aber wichtig festzuhalten, dass nicht die KI der Wert ist, sondern wie man seine Prozesse mit dem Nutzen der KI sinnvoller und effizienter gestalten kann. Deswegen sprechen wir bei SAP auch von Business AI. Da greifen wir auch auf die Erfahrungen und Expertise unserer Kunden zurück, durch Roundtables sammeln wir Feedback ein.

Welche Beispiele für erfolgreiche Implementierungen von S/4HANA gibt es? Insbesondere solche, die signifikante Verbesserungen in Geschäftsprozessen oder Kundenerfahrungen gezeigt haben?

Gilg: Als Philips Domestic Appliances ein eigenständiges Unternehmen namens Versuni wurde, baute es seine gesamte IT-Infrastruktur um, um seine Kunden durch beschleunigte, sinnvolle Innovationen besser zu bedienen. Versuni entschied sich für RISE with SAP, um sich zu einem analysegestützten, digitalen Unternehmen zu entwickeln und alles neu zu gestalten – von E-Mail, Buchhaltung und Marketing über die Fertigung, die Lieferkette und kundenorientierte Systeme. In enger Zusammenarbeit mit SAP und TCS gelang es Versuni seine Transformation innerhalb von 18 Monaten – sechs Monaten vor dem Zeitplan – abzuschließen. Sie haben eine saubere digitale Grundlage geschaffen und auf innovative Geschäftsmodelle umgestellt, die sie ohne technologische Einschränkungen auf Wachstum vorbereiten.

Die Integration durchgängiger Prozesse, robustere Datenmanagementfunktionen und die bessere Nutzung fortschrittlicher Analysen und künstlicher Intelligenz haben alle Bereiche des Unternehmens verbessert. Versuni verfügt nun über neue Prozesse im gesamten Unternehmen, darunter Personalwesen, Finanzwesen und Beschaffung sowie Vertrieb. Darüber hinaus profitiert das Unternehmen von intelligenten Prozessen in seiner Lieferkette, Produktentwicklung, Kundenbetreuung und anderen Bereichen, die für seine globalen Abläufe von entscheidender Bedeutung sind.

RISE with SAP hat dazu beigetragen, eine Grundlage für die Vision von Versuni zu schaffen, ein kundenorientiertes Unternehmen zu werden – ein Unternehmen, das eine ganzheitliche Sicht auf seine Kunden hat, seine Bedürfnisse versteht, auf sein Feedback reagiert und Innovationen sowie Produkte entwickelt, die ihren Alltag positiv beeinflussen.

Wie stellt SAP sicher, dass die Organisationen der Kundenunternehmen (Berater, Entwickler, Betriebsorganisation) „fit“ für die Cloud-Welt werden? Welche Programme gibt es und wie kann beispielsweise Generative KI unterstützen?

Gilg: SAP ist das Problem bekannt, dass es für viele Kunden eine Herausforderung ist, Change aktiv zu managen für ihre Angestellten im Business und in der IT. Deshalb war ein Fokus bei GROW with SAP das Thema Learning, welches ein Bestandteil des Offerings ist. Die Mitarbeitenden einer Firma sind der entscheidende Erfolgsfaktor, damit die Transformation gelingt. Hier müssen wir weiterhin mit dem DSAG-Transformationsvorstand eng zusammenarbeiten, um gemeinsam zu erarbeiten, wie wir noch besser werden können.  Insbesondere wo es noch Potenzial gibt, AI zu nutzen. Es braucht Persona-bezogene Trainings für die unterschiedlichen Rollen, auch das IT-Personal selbst. Da ist schon viel passiert in der letzten Zeit, aber es gibt immer Raum für Verbesserungen. Ich denke der Digitale Assistent ist hier ein Schritt in die richtige Richtung.

Was geben Sie den Kunden noch mit auf den Weg?

Gilg: Cloud wird in der Diskussion manchmal schon fast stigmatisiert, am Ende des Tages ist es die Technologie, die sich in den letzten Jahren durchgesetzt hat. Damit erreichen wir alle Kunden, sogar den öffentlichen Sektor. Die haben nochmal andere Anforderungen, die wir aber mittlerweile auch abdecken. Individualisierung ist allerdings auch immer eine Kostenfrage und da darf man auch nicht nur auf die Subscription-Kosten schauen. Am Ende möchte der Kunde kein Produkt kaufen, sondern eine Lösung für die Herausforderungen, mit denen er konfrontiert ist und genau da möchten wir helfen.

Vielen Dank für das Gespräch!